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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 738 und 739
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Enquete-Kommission

drei größten Gesellschaften befinden sich in den Wojewodschaften Oppeln,
Kattowitz und Tschenstochau. Polens nationale Wahlgesetzgebung privilegiert
die Minderheiten, indem sie sie von Sperrklauseln sowohl auf der Ebene der
Wahlkreise als auch auf der der Landesliste befreit. Die deutsche Minderheit
erhielt so bei den Sejm-Wahlen 1991 sechs Mandate in den Wahlkreisen und
ein Mandat auf der Landesliste. Seit den Parlamentswahlen von 1997 entsendet
sie nur noch zwei Abgeordnete in den Sejm, da ihre Wahlbeteiligung weit un-
ter der ihrer polnischen Mitbürger lag. Auf der Ebene der kommunalen Selbst-
verwaltung kommt der deutschen Minderheit in Oberschlesien als Vorteil zu-
gute, daß sie geschlossen siedelt. Allein in der Wojewodschaft Oppeln erran-
gen ihre Kandidaten 1994 in 36 Gemeinden die absolute Mehrheit der Sitze;
sie errangen hier insgesamt 35 % aller Mandate. Allerdings blieb der Wunsch
der deutschen Minderheit, in der Wojewodschaftsverwaltung entsprechend
personell berücksichtigt zu werden, bisher unerfüllt.

Wegen des Mangels an Deutschlehrern konnte der Deutschunterricht erst ab
dem Schuljahr 1992/93 aufgenommen werden. Im Schuljahr 1993/94 wurde in
Oppeln und Kattowitz in 734 von 1.500 Grundschulen Deutsch als Zusatzspra-
che gelehrt. Muttersprachlicher Deutschunterricht ab dem ersten Schuljahr
wird derzeit in knapp 200 Grundschulen erteilt, davon 132 in der Wojewo-
dschaft Oppeln, wo es zur Zeit auch vier bilinguale Gymnasien gibt.

Konkrete, zumeist materielle Hilfe aus der Bundesrepublik für die in Polen
verbliebenen Deutschen achtet darauf, zwischen diesen und ihren polnischen
Nachbarn nicht unnötige Unterschiede aufzubauen. Der größte Teil der Hilfs-
maßnahmen, z. B. Ausstattung von Krankenhäusern mit Geräten und Medika-
menten oder Baumaßnahmen zur Verbesserung der Wasserversorgung, kommt
allen Bewohnern der jeweiligen Orte oder Regionen zugute. Für soziale, ge-
meinschaftsfördernde und wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen stellt der BMI
jährlich 20–25 Millionen DM zur Verfügung, für kulturelle Förderung das
Auswärtige Amt ca. 7,5 Millionen.

Ein besonders hervorzuhebendes Zeichen für den Neuanfang der deutsch-
polnischen Beziehungen ist die gemeinsame Beschäftigung mit dem Thema
Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 und dem Schicksal der deut-
schen Minderheit danach. Hier sind es vor allem junge polnische Historiker
und Publizisten, die sich dieser zur Zeit der Volksrepublik tabuisierten Themen
in Spezial- und Regionalstudien annehmen. Für die Forschungsentwicklung
bedeutsam sind zwei deutsch-polnische Editionsprojekte, eines über die
Zwangsaussiedlung/Vertreibung der Deutschen, das andere über das polnische
Arbeitslager Lamsdorf. Beide Völker werden davon profitieren, daß sie sich
gemeinsam der Geschichte Ihrer Väter und Vorväter annehmen und so Ver-
ständnis gewinnen für die Verlustschmerzen des anderen.

In die Zukunft weisen ferner das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das in be-
wußter Analogie zum Deutsch-Französischen Jugendwerk im Rahmen des
Nachbarschaftsvertrages vereinbart wurde, aber an Unterfinanzierung leidet,
sowie die Europa-Universität „Viadrina“ in Frankfurt/Oder, die im Winterse-

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Schlußbericht

mester 1992/93 ihren Lehrbetrieb aufnahm. Etwa ein Drittel ihrer Studierenden
sind junge Polen. Die gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen
wurde u. a. mit dem deutsch-polnischen Kulturabkommen vom 14. Juli 1997
geregelt. Zu den intensiven Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen zählt auch
die Einrichtung eines Deutschen Historischen Instituts in Warschau.

Trotz der umwälzenden Veränderung im Verhältnis zwischen Deutschland und
Polen seit 1990, die angesichts der Geschichte einem „Paradigmenwechsel“
gleichkommt, bestehen weiterhin eine Reihe ungelöster, sich möglicherweise
in der Zukunft noch verschärfender Probleme. Sie reichen von der grenzüber-
schreitenden Kriminalität, über die Rückführung kriegsbedingt verlagerter
Kulturgüter und Seerechtsfragen in der Pommerschen Bucht bis hin zu offenen
Vermögens- und Staatsbürgerschaftsfragen. Unbeschadet dessen ist die Fest-
stellung berechtigt, daß die bilateralen Beziehungen so gut sind wie nie zuvor
seit vielen Generationen, ihre Grundlagen in den politischen Eliten beider
Länder verankert sind und die beiderseitige Perspektive auf das integrierte Eu-
ropa die bestmögliche Gewähr bietet für dauerhafte Nachbarschaft und
Freundschaft zwischen Deutschen und Polen.

 

3. Hypotheken und Aufgaben

Acht Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit in Frieden und
Freiheit steht Deutschland in seiner Innen- und Außenpolitik neuen großen
Herausforderungen gegenüber. Diese wird es nicht im Alleingang, sondern nur
gemeinsam mit seinen Partnern in Europa und in der Welt bewältigen können.
Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und der Überwindung
der Teilung Deutschlands und Europas ist die Perspektive einer stabilen euro-
päischen Friedensordnung möglich und gestaltbar geworden. Die verständliche
Euphorie zu Beginn der neunziger Jahre ist inzwischen aus mancherlei Grün-
den einer nüchternen Beurteilung deutscher Politik, ihrer Möglichkeiten und
Grenzen am Ende des 20. Jahrhunderts gewichen.

Deutschland ist zum ersten Mal in seiner Geschichte mit allen seinen Nachbarn
freundschaftlich verbunden. Es ist saturiert und unter unzweideutigem Ver-
zicht auf einen erneuten nationalen Sonderweg fest in die westliche Werte- und
Sicherheitsgemeinschaft eingebunden.

Die Bundesrepublik Deutschland zog mit drei weichenstellenden Entscheidun-
gen die Konsequenzen aus der Katastrophe des Nationalsozialismus und des
Zweiten Weltkrieges:

  • Mit dem Auf- und Ausbau einer freiheitlichen Demokratie knüpfte der freie
    Teil Deutschlands, zugleich für die Deutschen, „denen mitzuwirken versagt
    war“ (Präambel des Grundgesetzes, alte Fassung), an die rechtsstaatlichen,
    liberalen und demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte an und
    gewann den Anschluß an die westeuropäische Verfassungsentwicklung zu-
    rück.