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Wahlperiode 13, Band II/1, Seiten 32 und 33
32
Protokoll der 40. Sitzung

Die Verfassung der DDR hatte in Artikel 24 die gesellschaftlich nützliche Tä-
tigkeit als eine „ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsfähigen Bürger“ bezeichnet.
Und so bildeten das Recht auf und die Pflicht zur Arbeit eine Einheit. Die Ar-
beitswelt hatte sich über viele Jahre am Ziel der „sozialistischen Persönlich-
keit“ auszurichten gehabt, also am Bild eines Menschen nach den Wünschen
des Staates. Jedem Bürger der DDR war dieser ausgeprägte Wunsch des
Staatsapparates, den Menschen nach seinem Willen zu erziehen, im Laufe sei-
nes Arbeitslebens fast ständig vor Augen geführt worden. Kaum jemand hat
sich dem entziehen können. Der Einzelne war nicht etwa Arbeitnehmer, son-
dern „Werktätiger“, der staatlicher Macht im Betrieb oft schutzlos ausgeliefert
war. Das Arbeitsgesetzbuch der DDR sah nämlich gegen die „Werktätigen“
betriebliche Disziplinarverfahren vor, mit denen auf die Menschen erzieheri-
scher Einfluß zu nehmen war. Die Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten, und
dafür reichte bereits das Stellen eines Ausreiseantrages, hatte für den Werktä-
tigen einschneidende Folgen in allen Bereichen seines Lebens, oft über viele
Jahre. Zumindest in den letzten Jahren konnte das nicht mehr durchgehalten
werden, weil es dann zu viele waren, die einen Ausreiseantrag stellten, ver-
bunden mit dem Verlust der Arbeit. Der Verlust des Arbeitsplatzes diente in
der DDR der gesellschaftlichen Disziplinierung und wurde gleichgestellt mit
dem Verlust des gesellschaftlichen Ansehens.

Der begriffliche Wandel des Werktätigen zum Arbeitnehmer und des Betriebes
zum Arbeitgeber hat erst Mitte 1990 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt war in
den Köpfen der Menschen noch tief verwurzelt, daß nur derjenige die Arbeit
verliert, der Schuld auf sich geladen hat. Auch deshalb sind anfangs viele Be-
troffene mit einer Kündigung nur sehr schwer fertig geworden, weil es eine
Schuldfrage zu sein schien.

Ein Betriebsverfassungsrecht hatte es in der DDR nicht gegeben. Gewerk-
schaften und Arbeitgeber mußten ihr Verhältnis zueinander im Prozeß der Ei-
nigung erst finden. Auch die hier Beteiligten konnten sich vom alten Denken
nicht immer gleich frei machen. Auf diese Weise hat das Erbe der DDR-Ver-
gangenheit noch länger nachgewirkt, als es heute auf den ersten Blick scheinen
mag.

Man könnte noch zahlreiche Beispiele nennen, um die Schwierigkeiten der
Menschen mit dem Rechtsstaat und untereinander im Rechtsstaat zu beschrei-
ben. Sicherlich gehört auch der inzwischen oft strapazierte Satz von Bärbel
Bohley in diesen Zusammenhang. Wir dürfen aber nicht vergessen: Der
Rechtsstaat ist nicht abstrakt – wir alle bilden ihn und bestimmen unser Zu-
sammenleben in ihm selbst.

Das „Wörterbuch zum sozialistischen Staat“ kennt übrigens den Begriff
„Rechtsstaat“ nicht. Es erwähnt aber, daß „die Sicherheit und Festigkeit der
sozialistischen Rechtsordnung eine ständige, sich an den Beschlüssen der mar-
xistisch-leninistischen Partei orientierende politisch-ideologische Erziehungs-
arbeit voraussetzt, die von allen staatlichen Organen und gesellschaftlichen
Organisationen zu leisten ist“.

33
Justitielle Aufarbeitung

Heute bedeutet der Rechtsstaat für uns das Primat des Rechts über die gesamte
staatliche Tätigkeit. Seine wichtigsten Merkmale sind in Artikel 20 Absatz 3
unseres Grundgesetzes unabänderlich festgeschrieben:

  • die Gewaltenteilung,
  • die Rechtssicherheit,
  • die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
  • und der Gerichtsschutz.

Daran ist alle staatliche Gewalt gebunden. Der Anspruch auf die Verwirkli-
chung dieses Rechtsstaates ist für uns alle garantiert und vor Gericht durch-
setzbar. Wir müssen den Rechtsstaat aber akzeptieren – das setzt ein Kennen-
lernen und ein Vertrauen voraus. Aber daran wird deutlich, welche gewaltige
inneren Umstellungen für die Menschen in den neuen Bundesländern seit der
Wiedervereinigung mit diesem Komplex verbunden waren und sind.

Das Ziel des Rechtsstaates ist die Verwirklichung von Gerechtigkeit. Ob das
gelungen ist, gilt es heute abend – ein Stück weit zumindestens – zu bilanzie-
ren. Wir wollen uns bei unseren Referenten nach den Leistungen und den De-
fiziten bei der Überwindung der zweiten Diktatur in Deutschland und ihrer
Folgen erkundigen und so erfahren, wie leistungsfähig der Rechtsstaat bei die-
ser großen und einzigartigen Aufgabe ist. Wir müssen aber auch danach fra-
gen, was eigentlich von dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland und den
Menschen, die in ihm leben, erwartet werden durfte. Welche Möglichkeiten
und Grenzen bestehen in unserem Rechtsstaat bei der Überwindung einer
Diktatur?

Vielleicht können uns ja gerade die Vertreter der Wissenschaft heute abend
auch berichten, wie ihre Studenten in Berlin, in Potsdam und in Jena darüber
denken und welche Rolle diese Fragen in ihren Lehrveranstaltungen spielen.
Ich bin sicher, daß wir am Ende dieses Abends wichtige neue Erkenntnisse
gewonnen haben und danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Danke.

Ich möchte nun, wie das aus dem uns allen vorliegenden Ablaufprogramm
deutlich ist, Herrn Professor Huber das Wort geben. Bitte schön.

Gesprächsleiter Sv. Prof. Dr. Peter M. Huber: Vielen Dank Herr Vorsitzen-
der. Wir werden, wie Herr Eppelmann gesagt hat, zunächst die Referate der
Wissenschaftler anhören, und zwar mit dem Verfassungsrecht beginnend. Herr
Klein, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Eckart Klein: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, Ihnen
liegen hoffentlich die zehn Thesen vor, die ich für den heutigen Abend vorbe-
reitet habe. Aus Zeitgründen muß ich mich zum Teil auf diese Thesen be-
schränken, zum Teil kann ich auch nur gleichfalls eher thesenartige Ausfüh-
rungen dazu machen (siehe Anlage).

  1. Die schwierige Aufgabe einer juristischen Bewältigung der Folgen der
    SED-Diktatur mußte nahezu vollständig ohne für diesen Zweck geschaf-
    fene verfassungsrechtliche Sondernormen geleistet werden. Zurückzugrei-