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Wahlperiode 13, Band II/1, Seiten 48 und 49
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Protokoll der 40. Sitzung

für Straftatbestände wie Rechtsbeugung, wie Körperverletzung und Freiheits-
beraubung nach jetziger Rechtslage Verfolgungsverjährung eintreten. Taten,
deren Verjährung zu diesem Zeitpunkt nicht zumindest unterbrochen ist, wer-
den dann nicht mehr verfolgt werden können. Es ist m.E. keine dem Gerech-
tigkeitspostulat widersprechende Folge, es ist vielmehr eine allgemeine Erfah-
rung und ein dem Strafrecht und Strafverfahrungsrecht immanenter Grundsatz,
daß das Strafbedürfnis mit dem Zeitablauf zurücktritt und daß strafrechtliche
Ahndungen nicht unbegrenzt in die Vergangenheit zurückgreifen soll. Ob der
Zeitpunkt dafür angesichts der besonderen Situation nach der Wiedervereini-
gung zweifelsfrei gekommen ist, darüber ist man – Sie wissen das – geteilter
Meinung. Die strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts ist keineswegs
über jede Kritik erhaben, auch darauf ist schon hingewiesen worden, so man-
ches Verfahren hätte viel zügiger abgeschlossen werden können. In machen
Bereichen hätte ich mir eine weniger restriktive Anwendung der Straftatbe-
stände gewünscht. Aber selbst mit nochmals wesentlich erhöhtem personellen
und sachlichen Aufwand wäre es nicht möglich gewesen, Forderungen nach
perfektionistisch umfassender Aufarbeitung jahrzehntelangen systematischen
staatlichen Unrechts mit den Mitteln des Strafrechts zu erfüllen. Die Bewer-
tung der bis heute geleisteten Arbeit ist daher auch eine Frage der Vermittlung
dieser Grundsätze. Sie ist deshalb auf das engste mit dem Prozeß der deutschen
Wiedervereinigung verbunden, der ja noch lange nicht abgeschlossen sein
wird. Auch das Verständnis der Bürger der östlichen Länder von diesem Pro-
zeß wie vom Rechtsstaat hat sich in den vergangenen acht Jahren gewandelt.
Manche sind enttäuscht und halten den Ertrag im Verhältnis zum Aufwand für
zu gering. Aus der Sicht von Opfern ist das subjektiv nachvollziehbar,
menschlich verständlich. Dem einzelnen Betroffenen etwa, dessen Wohnung
vielfach illegal durchsucht und abgehört wurde, ist es schwer zu vermitteln,
daß die staatlich angeordnete Zerstörung der Privatsphäre und die oft jahrelan-
ge Angst vor Verfolgung mit all ihren Folgen nun als einfacher Hausfriedens-
bruch mit einer Geldstrafe geahndet wird wie ein Ladendiebstahl. Andere
wollen aus politischen Gründen einen Schlußstrich unter die strafrechtliche
Verfolgung ziehen. Ich bin dem immer entgegengetreten. Die Verfolgung
strafbaren Unrechts vollzieht sich im Rechtsstaat in rechtlichen Formen. Sie
steht grundsätzlich nicht zur Disposition politischer Zweckmäßigkeit. Nicht
verjährte Straftaten zu verfolgen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen,
ist die Pflicht der Justiz. Ein Schlußstrich würde eine gesetzliche Amnestie
voraussetzen, für ein solches Gesetz bestand nie Anlaß. Die Amnestie an sich
strafbaren Unrechts ist ein Instrument, das seinem Wesen nach die bestehen-
den rechtlichen Bindungen durchbricht. Nicht umsonst ist sie in totalitären Sy-
stemen ein häufig benutztes Mittel, um, aus welchen Gründen auch immer,
Wohltaten zu gewähren. Sie ist letztlich nichts anderes als die Schwester der
Willkür. Bereits bekannte und noch bekannt werdende verfolgbare Taten müs-
sen weiterhin verfolgt und die Täter abgeurteilt werden. Das wird noch einige
Jahre in Anspruch nehmen. Es ist die Pflicht des Rechtsstaats, diese Aufgabe
sorgfältig und umfassend zu erledigen. Und weil hier nicht Sieger über Be-
siegte urteilen, sondern eine unabhängige Strafjustiz über die individuelle

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Justitielle Aufarbeitung

Schuld von Tätern urteilt, deshalb steht die Strafverfolgung einer politischen
und gesellschaftlichen Aufarbeitung und damit auch einer Versöhnung nicht
entgegen. Im Gegenteil, sie ist ihre Voraussetzung. Im übrigen hat die straf-
rechtliche Aufarbeitung über das juristische Ergebnis hinaus in eindrucksvoller
Weise zur Erhellung und Bewertung des SED-Unrechts beigetragen. Die Mit-
tel des Strafprozesses, die keinem Historiker zur Verfügung stehen, haben
Wahrheiten zutage gefördert und wirken damit der Legendenbildung entgegen.
Diese Erkenntnisse machen aber auch deutlich, welche immensen Aufgaben
noch vor der Zeitgeschichtsforschung stehen. Die weitere Erhellung und Be-
wertung des SED-Unrechts liegt nun zunehmend in der Hand der Historiker.
Es wird darauf ankommen, deren Forschungsergebnisse in der geistigen und
politischen Auseinandersetzung angemessen zu würdigen. Ich verzichte wegen
des eingetretenen Zeitdrucks auf meine Schlußworte.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Da haben Sie nachher vermutlich auch
noch eine Chance dazu. Wir werden nachher noch miteinander reden, ich darf
für die Zeit der namentlichen Abstimmungen unsere Sitzung unterbrechen, wir
werden so schnell wie möglich hier wieder herkommen. Danke.

[Sitzungsunterbrechung von 18.48-19.30 Uhr]

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, wieder Platz zu neh-
men und die noch draußen Stehenden wieder hereinzubitten, damit wir nach
unserer Unterbrechung fortfahren können. Ich hoffe, daß wir noch möglichst
weit kommen, denn die Justizsenatorin aus Berlin bekommt jetzt, nicht was
ihre Rede angeht, Schwierigkeiten, denn sie wird leider nicht bis zum Ende der
Veranstaltung hierbleiben können. Wir müssen also einmal sehen, wie das mit
unseren Fragen ist. Wir haben inzwischen noch weiteren Zuwachs bekommen.
Herr Bundesminister Schmidt-Jortzig, ich möchte Sie herzlich begrüßen. Das
Wort hat Herr Professor Dr. Huber.

Abg. Siegfried Vergin (SPD): Können wir dann eventuell die Fragen, die an
die Senatorin noch zu stellen wären, vorziehen?

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich würde gerne auf diesen Vorschlag ein-
gehen. Wir sollten dann aber tatsächlich nur die gezielten Fragen stellen, von
denen wir der Meinung sind, daß sie von der Fachfrau aus Berlin beantwortet
sollten. Eine breite Diskussion sollte daraus nicht werden.

Gesprächsleiter Sv. Prof. Dr. Peter M. Huber: Vielen Dank, Herr Vorsit-
zender. Frau Senatorin, ich darf Ihnen das Wort erteilen.

Senatorin Dr. Lore-Maria Peschel-Gutzeit, MdA: Vielen Dank, Herr Vor-
sitzender. Meine Damen und Herren Abgeordnete, Herr Bundesminister, Herr
Kollege Heitmann, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deutschland, und
das ist ja heute hier sehr deutlich geworden, steht zum zweiten Mal in diesem
Jahrhundert nach dem Zusammenbruch einer Diktatur vor dem Problem, sich
mit Straftaten, die in diesem System begangen worden sind, justitiell ausein-