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Wahlperiode 13, Band III/1, Seiten 168 und 169
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Protokoll der 29. Sitzung

senden Schulden sichtbar. Wir importierten jährlich für mehrere Milliarden
Valutamark modernste Technik aus den westlichen Industrieländern und bau-
ten zahlreiche Betriebe neu auf oder rekonstruierten sie. Die Produktion und
das Warenangebot wurden vielseitiger, soziale Maßnahmen wurden beschlos-
sen. Aber im Zeitraum 1972-1978 importierte die DDR rd. 20 Milliarden Va-
lutamark mehr aus den westlichen Ländern, als sie dorthin exportierte und
hatte dabei nur 40 % ihrer Kredite investitionswirksam angelegt. Damit fehlte
für 60 % die Basis der Refinanzierung, und das zwang uns Ende der 70er Jahre
verstärkt, Exporte aus den Konsumgüterzweigen zu ziehen, die dem Binnen-
markt fehlten und darüber hinaus nur mit ungenügender Rentabilität exportiert
werden konnten.

Ich will jetzt verzichten, darauf einzugehen, welche Veränderungen wir dort
durchgeführt haben. Ich möchte aber sagen, daß es in den 80er Jahren insge-
samt immer deutlicher wurde, daß die DDR mit der ungenügenden Effektivität
ihres Systems und der einseitigen Bindung an den Ostmarkt sowie durch das
Embargo der westlichen Allianz nicht die Produktivität der High-Technologien
erreichen konnte. Die Sowjetunion hatte sich zwar eine leistungsfähige For-
schungsbasis geschaffen, verbrauchte jedoch ihre Kräfte im Rüstungswettlauf
mit den USA und der NATO. Solange die Bedingungen existierten, in die un-
ser Land eingebunden war, der Warschauer Pakt, der RGW, das sozialistische
Lager, die Sowjetunion, der innere Markt, konnte sich die DDR entwickeln.
Als diese Bedingungen wegbrachen, konnte sie als selbständiger Staat nicht
weiter existieren.

Um die Erkenntnis, daß eine überzentralisierte oder gar totale Planung die un-
geheure Vielfalt der Bedürfnisse einer Volkswirtschaft und der Bevölkerung
auch bei bester Computertechnik weder sinnvoll noch planerisch und verwal-
tungstechnisch beherrschbar machen konnte, möchte ich mich als langjähriger
Planungschef der DDR nicht herumdrücken. Die soziale Marktwirtschaft hat
sich geschichtlich in ihrer Innovationskraft der von uns praktizierten Art der
zentralen Planwirtschaft überlegen erwiesen. Durch das Gewinnstreben ist ihr
a priori gegeben, was die Planwirtschaft trotz gesellschaftlicher Aktivitäten im
sozialistischen Wettbewerb, in der Aktivisten-Bestarbeiter- und Neuererbewe-
gungen nicht ausgleichen konnte. Die für die Menschen anonym bleibenden
Formen des staatlichen Eigentums und die ungenügende demokratische Legi-
timation der Machtorgane, gaben nicht die günstigsten Voraussetzungen für
die Entfaltung aller innovativen Kräfte und der Gedanke, daß alle in einen gro-
ßen Topf wirtschaften, aus dem dann neu verteilt wird, überzeugte nicht, täg-
lich das Beste zu geben und materieller Anreiz ersetzte auch nicht das massen-
haft kreative Streben nach höchstem Gewinn.

Wahr ist aber auch, daß die Marktwirtschaft, selbst wenn sie weiterhin an-
strebt, eine soziale zu sein, alle Dinge immer und ausschließlich unter dem
Blickwinkel des Profites sehen wird, und es ist zu befürchten, daß die anste-
henden globalen Probleme in Deutschland und in der Welt mit marktwirt-
schaftlichen Instrumenten allein nicht gelöst werden können, daß sie sogar

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Wirtschaft – Sozialpolitik – Gesellschaft

größer werden können. So sehen es auch viele Wissenschaftler der Bundesre-
publik und in der ganzen Welt, die darauf hinweisen. Wenn man z. Zt. beob-
achtet, wie die wohlhabende Bundesrepublik kurzfristig von einem Haus-
haltsloch in das andere fällt und das eine Ressort zu sparen glaubt, indem es
dem anderen die Lasten aufbürdet, sollte etwas vorausschauendere Planung gar
nicht so abwegig sein. Bei Würdigung all der großen Erfolge der Marktwirt-
schaft und demokratischer Strukturen der Gesellschaft, der Freiheit und der
Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik wird die Polarisierung von Reichtum
und Armut weiter fortschreiten, die Abwanderung von Kapital in die Bil-
liglohnländer wird sich auch fortsetzen, und es besteht die Gefahr, daß uns ho-
he Arbeitslosigkeit und soziale Verschlechterung begleiten werden. Unbestrit-
ten muß dem Gewinn durch ständigen Druck auf die Kostensenkung auch in
Zukunft die entscheidende Stelle in jeder wirtschaftlichen Tätigkeit eingeräumt
werden, denn aus dieser Quelle fließen nicht nur die Steuern für den Staat und
die Kommunen, sondern letztlich alle Mittel für den gesellschaftlichen Fort-
schritt. Aber die Kostensenkungen durch Sozialabbau zu bewirken, sind natür-
lich ein zweischneidiges Schwert, da sie die Konflikte mit den Menschen ver-
schärfen, deren Arbeit alles trägt und dem inneren Markt Kaufkraft entziehen,
wovon erneut Arbeitsplätze bedroht werden.

Ich komme zum Schluß. Vieles mußte ich nach der Wende neu lernen. Ich ver-
suche, es zu begreifen. Ich halte die auf friedlichem Wege erreichte Einheit
Deutschlands für eine großartige Errungenschaft und glaube, daß die Chancen
des Zusammenwachsens der Menschen in Ost und West besser genutzt werden
sollten.

Ich gehe deshalb auch auf jede dieser Konferenzen, die hier stattfinden, um
etwas zur Aufarbeitung der Geschichte beizutragen. Ich habe auch in dem Pro-
zeß am Landgericht in Berlin die Aussage nicht verweigert, wie andere vor
mir, sondern ich habe die Fakten beigetragen, die ich dazu beitragen kann. Ich
danke Ihnen sehr, daß sie mir so geduldig zugehört haben.

Gesprächsleiter Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herzlichen Dank
Herr Dr. Schürer, auch für die am Ende gezeigte konstruktive Grundhaltung.
Ich bin mir sicher, daß es sehr viele Diskussionen geben wird, sehr viele Fra-
gen. Als erster hat sich der Kollege Poppe gemeldet.

Abg. Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank Herr
Vorsitzender. Die Tatsache, daß alle drei Vortragenden keinen unerheblichen
Einfluß auf die Wirtschaft in der DDR hatten, veranlaßt mich zunächst zu der
Frage, wann sich denn diese Erkenntnisse, die Sie heute hier vorgetragen ha-
ben, zu entwickeln begannen? Wann setzte sich dies in Ihren Köpfen fest? Ist
das nun alles ein Ergebnis des offenen Umgangs mit dem Thema nach
1989/90? Aus ihren Vorträgen meine ich entnehmen zu können, daß Sie sich
auch vorher schon diese Gedanken gemacht haben.

Welche Freiräume gab es für Leute, die so hoch angebunden waren in der
DDR-Wirtschaft, wie eben Kombinatsleiter, Absatzdirektoren oder sogar für