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ausforderungen mit sich gebracht. Eine besonders gefährdete Gruppe in der
Bewältigung der neuen Situation sind die Frauen.
In meinem Lebensbereich erlebe ich Frauen, die auf Grund ihrer sozialen gei-
stigen und persönlichen Unversehrtheit ihr Leben individuell und selbstbewußt
neu bestimmen können. Ich erlebe auch Frauen in einem schweren Verände-
rungsprozeß, deren Kräfte und Möglichkeiten erschöpft sind. Denen Hilfe-
stellungen verweigert werden, denen es droht – ob sie wollen oder nicht – die
unbezahlte Hausfrauenrolle zugewiesen zu bekommen oder unterqualifiziert zu
arbeiten (alleinlebende Frauen), um Familie und Beruf miteinander zu „ver-
einbaren“. Und dann erlebe ich Frauen, denen Arbeits- und Beziehungsverlust
und der Verlust des staatlich geordneten Lebens keine Chancen mehr einräumt.
Ich erlebe den Wert der Frau vor und nach der Wende gering geachtet. „Frau-
engerechte“ Politik soll Vergangenes aufarbeiten, muß Gegenwärtiges unter
Beteiligung von Frauen kritisch analysieren, wird sich aber zwingend einer
Wertediskussion überhaupt stellen müssen.
Gesprächsleiterin Abg. Christine Kurzhals (SPD): Ich danke Ihnen, Frau
Schlegelmilch, für das sehr offene und auch sehr persönlich geführte Referat.
Ich möchte jetzt gleich an Frau Dr. Schenk, Universität Halle, weitergeben.
Dr. Sabine Schenk: Vielen Dank, Frau Kurzhals. Meine Damen und Herren,
Frau Kurzhals hat ja schon meinen jetzigen Aufenthaltsort genannt. Ich bin
Soziologin und arbeite zur Zeit an der Martin Luther Universität Halle und
werde dort die nächsten vier Jahre Zeit haben, eine Habilitationsschrift anzu-
fertigen. Meine Promotion habe ich an der Humboldt-Universität Berlin ange-
fertigt und dort auch 1990 verteidigt. In der Zeit dazwischen habe ich die letz-
ten vier Jahre bei der Kommission für die Erforschung des sozialen und politi-
schen Wandels in den neuen Bundesländern gearbeitet. In diesem Zusammen-
hang habe ich mich auch – neben anderen Themen – mit der Situation von
Frauen in den neuen Bundesländern beschäftigt. Ich habe für diesen Vortrag
eine Reihe von Folien angefertigt, die wir hier leider nicht sehen können. Es ist
aber die Tischvorlage als Kopie angefertigt worden, und diese Übersichten
(Hinweis: Tabellen und Abbildungen in Anlage 2) stehen Ihnen jetzt mit die-
sem Redemanuskript zur Verfügung.
Ich bin aufgefordert worden, als Soziologin über die veränderten Lebenswelten
von Frauen in den neuen Bundesländern im Zuge des Transformationsprozes-
ses zu berichten. Sie werden merken, daß sich meine Ausführungen etwas von
dem Bericht von Frau Schlegelmilch absetzen und unterscheiden. Dies bedeu-
tet jedoch nicht, daß meine Ausführungen grundsätzlich einen Gegensatz zu
Frau Schlegelmilchs Vortrag darstellen. Für die Facetten, die zu diesem Thema
in Betracht zu ziehen sind, sind meine Ausführungen vielleicht auch sehr
nützlich.
Gestatten Sie mir zunächst eine kurze Rückbesinnung auf die Erwartungen und
Befürchtungen, die zu Beginn des Transformationsprozesses hinsichtlich der
anstehenden Veränderungen in den Lebenswelten ostdeutscher Frauen formu-
liert wurden. In einer sehr vereinfachten und hier bewußt zugespitzten Form
ließen sich damals wohl zwei Grundpositionen unterscheiden, die beide glei-
chermaßen plausibel waren und auf ernstzunehmenden Argumenten beruhten:
Da war zunächst eine eher pessimistische Position, die sehr schnell die Ver-
dichtung von Beschäftigungsrisiken und die massive Abdrängung von Frauen
aus dem Erwerbssystem und darüber hinaus das rasche Abschmelzen des in
der DDR (im Vergleich zur Bundesrepublik) in verschiedensten Lebensberei-
chen konstatierten „Gleichstellungsvorsprungs“, wie Herr Geißler es formu-
lierte, befürchtete.
Es gab weiterhin eine eher optimistische Position, die vor allem die Befreiung
ostdeutscher Frauen von dem „Zwang der real-sozialistischen Vollerwerbstä-
tigkeit“ und insbesondere der damit verbundenen erheblichen Doppelbelastung
durch Berufs- und Familienpflichten betonte. Die Anhänger dieser Position
erwarteten, daß eine Reihe von Frauen, vor allem von Müttern, die neuen
Wahlmöglichkeiten nutzen und sich erleichtert vom Arbeitsmarkt zurückzie-
hen bzw. ihre Erwerbsbeteiligung erheblich reduzieren würden. Parallel dazu
wurde auch angenommen, daß die nun möglich und wahrscheinlich gewordene
Ausweitung der Dienstleistungsbereiche in Ostdeutschland neue und attraktive
Berufsfelder für Frauen bereitstellen wird. Also ähnlich wie die Tertiarisie-
rungsschübe in den 70er Jahren in der Bundesrepublik.
Denkt man nun heute, sieben Jahre später darüber nach, welche Position den
zu beobachtenden Auswirkungen des Transformationsprozesses auf die Le-
benswirklichkeit von Frauen in den neuen Bundesländern näher war, so ist die
Entscheidung scheinbar schon gefallen und kumuliert in der These von den
„ostdeutschen Frauen als die Verliererinnen der Wiedervereinigung“. Diese
These hat sich relativ rasch und auch sehr hartnäckig in den politischen Dis-
kurs eingemischt und diesen auch geprägt und ist vielen bereits zur unverrück-
baren Gewißheit geworden. Um es gleich vorweg zu sagen: Mir selbst ist diese
These zu pauschal und in ihrer Perspektivaussage auch etwas zu voreilig.
Gleichwohl ist unbestreitbar, daß sie sich leider auf bedrückende und proble-
matische Befunde stützt.
Dazu gehört ganz sicher die krisenhafte Entwicklung des Arbeitsmarktes, in
der ostdeutsche Frauen mit erheblich höheren Beschäftigungsrisiken konfron-
tiert sind als Männer. Ich möchte dies beispielhaft an einigen Punkten verdeut-
lichen. Wenn Sie jetzt einen kurzen Blick auf die Übersicht 1 werfen würden,
kann man dort relativ gut erkennen, daß die noch Ende der 80er Jahre sehr
ähnliche alterspezifische Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen in Ost-
deutschland sich in den letzten Jahren deutlich auseinanderentwickelt hat und
heute eine verblüffende Ähnlichkeit zu den Mustern aufweist, die wir aus
Westdeutschland kennen: Frauen sind insgesamt in geringerem Maße beschäf-
tigt und ihre Erwerbsbeteiligung bricht ca. 5 Jahre früher ab als die der Män-
ner, also schon im Alter ab 50 Jahre. Geschlechtsspezifisch gegenläufige Ten-
denzen zeigen sich vor allem in der Gruppe der 25-35jährigen. Während Män-
nern dieser Gruppe eine gute Verstetigung im Erwerbssystem gelingt, schnei-