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unterstem Niveau geblieben ist. Hier stellt sich also die Frage: Sind das Folgen
von sozialer Deprivation? Wenn Sie die Abb. 6 bitte betrachten würden. Wir
haben allen Jugendlichen auch die fast identisch formulierte Frage zu ihrem
Verhältnis zur ehemaligen DDR gestellt. Die Abbildung verdeutlicht, daß ins-
besondere die Jugendlichen aus den außerbetrieblichen Maßnahmen die DDR
zunehmend positiver sehen. Die Veränderungen von 1993 nach 1995 zeigen
einen deutlichen Zuwachs, der auch statistisch nachzuweisen ist. Die sozial
deprivierten Jugendlichen neigen also stärker als andere Jugendliche zur
„DDR-Nolstalgie“, die für diese Jugendlichen – nach meinem Dafürhalten –
überhaupt keinen wirklichen Erfahrungshintergrund haben kann, wenn man
sich vor Augen hält, daß diese Jugendlichen zu Zeiten der Wende 12 Jahre alt
waren.
Interessanterweise ist die sogenannte DDR-Nostalgie auch bei den Gymnasia-
sten ausgeprägter als bei den Auszubildenden. Hier deuten sich zwei unter-
schiedliche Arten der „posthumen“ DDR-Aufwertung an. Eine, die durch per-
sönliche Problemlagen und soziale Bedrohung begründet ist („Deprivations-
motiv“) und eine eher intellektuelle Höherbewertung, wenn man dieses hoch-
gegriffene Wort für Schüler der 12. Klasse einmal akzeptiert, den man viel-
leicht als „Salonsozialismus“ bezeichnen könnte.
Doch was liegt hinter solchen allgemeinen Äußerungen über Politik? Man
möchte schließlich nicht nur wissen, welche Partei Jugendliche wählen wür-
den, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, sondern auch, welche
Motive und Wertvorstellungen dahinterstehen. Um dieser Frage nachzugehen,
haben wir die Jugendlichen danach gefragt, wovon es ihrer Meinung nach ab-
hängt, ob man in einer Gesellschaft wie der unsrigen Erfolg hat und sozial auf-
steigt. Der zentrale Befund gibt Abb. 7 wieder. Diese Abbildung sollte uns
doch zu Denken geben, denn Sie sehen, hier wurde danach gefragt: „Wovon
hängt es Deiner Meinung nach ab, ob jemand Erfolg hat und sozial aufsteigt?“
Dahinter liegt also die Frage, welches Verständnis Jugendliche heutzutage
über die soziale Dynamik unseres Landes haben? Sie sehen, daß die soge-
nannten meritokratischen Prinzipien deutlich höher bewertet werden (wie An-
strengung, Begabung, Fachkenntnisse, Dynamik, Initiative), während Geld und
Vermögen, Rücksichtslosigkeit etc. als eher unwichtig erachtet werden. Es ist
deutlich zu erkennen, daß sich hier eine Schere in den vergangenen 5 Jahren
aufgetan hat. Sie werden heute Jugendliche weit zurückhaltender in dem Glau-
ben daran finden, daß meritokratische Aufstiegsprinzipien unserer Gesellschaft
tatsächlich relevant sind. Und das ist die zentrale Botschaft: Wir finden diesen
Effekt, diesen Rückgang in dem Glauben an meritokratischen Prinzipien in ex-
akt dem gleichen Maße bei Jugendlichen in den alten und neuen Bundeslän-
dern. Es ist also sehr schwierig, wenn man jetzt dieses veränderte Weltbild auf
die spezifischen Situationen in den neuen Bundesländern zurückführen wollte.
Genauere Analysen zeigen, daß sich „Ossis“ und „Wessis“ unter den Jugendli-
chen in einer ganz anderen Hinsicht unterscheiden. Die ostdeutschen Jugendli-
chen glauben weit stärker an die zusätzliche Wirksamkeit illegitimer Auf-
stiegsmöglichkeiten wie „gute“ Beziehungen und Rücksichtslosigkeit. Sie un-
terscheiden sich nicht von den westdeutschen Jugendlichen hinsichtlich der
Frage, ob man durch Eigeninitiative Karriere machen kann, sondern sie sehen
viel stärker noch eine Hintertür. Ich möchte damit in keinster Weise irgendeine
Aussage über die Realität machen – es sind alles soziale Konstruktionen in den
Köpfen der Jugendlichen.
Ich komme jetzt zu meinem Fazit: Es erscheint ratsam, Aussagen über die Le-
benslage Jugendlicher in Ostdeutschland vor allem im Vergleich mit der west-
deutschen Vergleichsgruppe zu diskutieren.
Die Arbeitsmarktsituation ist in den alten Bundesländern zwar etwas ent-
spannter, aber insgesamt auch kritisch zu sehen. Wir finden auch in den alten
Bundesländern viele Jugendliche in außerbetrieblichen Maßnahmen. Ein letz-
ter Punkt, auf den ich hinweisen möchte, besteht darin, daß wir in unserer Stu-
die zeigen können, daß das Einmünden in außerbetriebliche Maßnahmen einen
sehr deutlich positiven sozialisatorischen Effekt auf diese Jugendlichen ausübt.
Man darf dabei nicht vergessen, daß die Jugendlichen nicht nur einfach „ob-
jektive Verlierer“ sind, die am Arbeitsmarkt scheitern, sondern es handelt sich
um Jugendliche, die auch ganz spezifische Defizite aufweisen, insbesondere in
ihren Arbeitshaltungen und ihrer Anstrengungsbereitschaft. Man betont das
heute so ungern, weil es nicht modern ist, aber die Pflicht- und Akzep-
tanzwerte (wie allein schon frühes Aufstehen) stellen für diese Jugendlichen
ein ganz großes Problem dar. Wir können deutlich zeigen, daß diese außerbe-
trieblichen Maßnahmen, die so oft als „Warteschleifen“ oder als „Maßnah-
meinstrumente“ verteufelt werden, ganz wichtige Nachsozialisierungsleistun-
gen in unserer Gesellschaft erbringen. Solange es keine Alternativen auf dem
freien Arbeitsmarkt oder im erweiterten Fachschulwesen gibt, sollte man diese
Form der Integration nicht unbillig kritisieren. Vielen Dank.
Gesprächsleiterin Abg. Christine Kurzhals (SPD): Ich danke Ihnen. Es tut
mir leid, daß wir Ihren Vortrag zeitlich gesehen so stark einschränken mußten.
Ich habe den Vorsitzenden gefragt, wir haben die Genehmigung, die Diskussi-
onsrunde bis 16.45 Uhr zu führen. Im Anschluß daran ist dann eine viertel
Stunde Pause angesetzt, so daß es um 17.00 Uhr weitergeht. Herr Kowalczuk
hat sich zuerst zu Wort gemeldet.
Sv. Ilko-Sascha Kowalczuk: Herr Schnabel hat den kürzesten Vortrag gehal-
ten, den wir hier in den letzten zwei Tagen gehört haben, und ich finde es ihm
gegenüber etwas unfair, daß er dafür, daß andere die Zeit doch erheblich über-
zogen haben, büßen mußte. Deswegen richtet sich auch gleich meine erste
Frage an Herrn Schnabel, damit er noch einmal ausführlich zu Wort kommt.
Sie haben gleich am Anfang Ihre dritte Einschränkung, die auch das ganze
Projekt betrifft, genannt. Sie sagten, daß es um die spezifische Situation in den
neuen Bundesländern geht, und hierbei für die Jugendforschung der Vergleich
zu den alten Bundesländern näher liegt als der vergleichende Rückblick.
Schließlich handelt es sich um Jugendliche, die 12 Jahre alt waren, als die
Wende kam. Nun bin ich Historiker und interessiere mich in der Regel eher