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Wahlperiode 13, Band IV/1, Seiten 188 und 189
188
Protokoll der 12. Sitzung

Studenten kommen an erster Stelle, dann kommt der wissenschaftliche Nach-
suchs und dann erst die Professoren. (starker Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Peter Maser: Schönen Dank. Da sind ja tatsächlich
noch einmal Prioritäten genannt worden, mit denen es vielleicht auch möglich
ist, dieses sehr vielfarbige Bild, das hier unter Mitwirkung unserer eingelade-
nen Gäste entworfen wurde, ein Stück zu durchschauen. Herzlichen Dank an
alle, die hier mitdiskutiert haben.

Pause von 16.02 bis 16.18 Uhr

Vorsitzender Siegfried Vergin: Meine Damen und Herren, leider können wir
der Anregung von Herrn Professor Jacobsen, die jetzt beginnende Phase auf
morgen zu verschieben, nicht folgen, diese Zeit ist uns nicht gegeben. Wir
müssen also sehen, daß wir das uns aufgegebene Kapitel „Die Folgen der
Indoktrination an den Schulen der DDR“ jetzt behandeln. Ich freue mich, daß
Herr Dr. Bernd-Reiner Fischer sich bereit erklärt hat, uns die Einführung zu
geben. Herr Fischer war Lehrer für Mathematik und Physik in Berlin-Fried-
richshagen von 1980 bis 1985 und ist erst dann in die wissenschaftliche Lauf-
bahn gegangen. Ich will nur das Ergebnis seiner bisherigen wissenschaftlichen
Karriere mitteilen: Er ist seit 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abtei-
lung Empirische Bildungsforschung und Methodenlehre am Institut für Allge-
meine Pädagogik der Philosophischen Fakultät IV der Humboldt-Universität zu
Berlin. Ich hoffe, Herr Dr. Fischer, daß Sie uns jetzt so in Spannung versetzen,
daß wir dann noch eine sehr interessante Podiumsdiskussion folgen lassen
können. Bitteschön.

Dr. Bernd-Reiner Fischer: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Ich
beginne mit einer forschungsmethodischen Bemerkung.

Meine erste These lautet: Es ist schlechterdings unmöglich, zu empirisch
gesichertem Wissen über kausale Zusammenhänge zwischen der früheren
schulischen – ich betone ausdrücklich: spezifisch schulischen – Indoktrination
und aktuellen sozialen, politischen, psychischen und pädagogischen Phänome-
nen in den neuen Bundesländern zu gelangen. Wir können nicht sicher wissen,
was die Indoktrination, die an diesen Schulen geschah, heute noch bewirkt. Wir
können auch nicht sicher wissen, welche aktuellen Phänomene, sofern sie als
Indoktrinationsfolgen interpretierbar sind, von spezifisch schulischer Indoktri-
nation herrühren. Wollten wir es aber, müßten wir experimentieren und einige,
sicherlich kleinere, DDRen gründen, dort einiges variieren, beispielsweise in
einer dieser Versuchs-DDRen nichtindoktrinierende Schulen aufbauen. Wir
müßten eine Reihe von Vereinigungen – die Frage wäre dann, mit wem –
veranstalten usf.. Ich schlage vor, auf dieses Wissen zu verzichten, vielmehr
sämtliche sozialen Orte, an denen Indoktrination stattfand bzw. möglich war, in
den Blick zu nehmen, das angekündigte Thema zu ändern und zu fragen:
Welche Folgen hat die Indoktrination, die auch in den Schulen der DDR statt-
fand, heute noch, insbesondere an den Schulen der neuen Bundesländer?

189
Instrumentalisierung von Wissenschaft/ Bildung

Im übrigen muß an den DDR-Schulen noch etwas anderes als Indoktrination
passiert sein. Die zweite, zunächst absurd erscheinende, immerhin aber starke
These lautet: Die Schule ist eine, wenn nicht die Institution, an der Indoktrina-
tion systematisch an ihre Grenzen stößt, vielleicht gar prinzipiell zum Scheitern
verurteilt ist, insofern in ihr nicht verhindert werden kann, daß auch das Lernen
und das Denken gelernt werden; es gibt ja keine Schule, an der bloß Stoff, bloß
Doktrinen vermittelt werden. Anders formuliert: Schulen können zwar Orte der
Indoktrination sein, und in der DDR waren sie dies gewiß. Es handelt sich dann
aber um Orte, an denen Indoktrination wohl Folgen hat, aber vor allem schei-
tert, in welcher Form auch immer, und zwar an der Bildungsbewegung, an den
Lernprozessen der Schüler.

Ich definiere: Wenn Doktrinen, das heißt starre und in sich geschlossene Lehr-
meinungen, Auffassungen, Ideologien, Weltanschauungen usf. mit einem sich
zuallererst auf Autoritäten stützenden Wahrheitsanspruch in Personen und
soziale Gruppen „hineingetragen“ werden, und zwar so, daß Zweifel und
Widerspruch verboten sind und man Glauben erzwingen will, wird Indoktrina-
tion versucht. Wenn der Versuch gelingt, wenn also die Personen und Gruppen
die propagierten Doktrinen in sich aufnehmen, zu sich „hereinholen“, ohne zu
zweifeln und zu widersprechen bzw. Zweifel und Widerspruch letztendlich in
sich selbst unterdrücken, findet Indoktrination statt. Der Erfolg ist an das
Fehlen von Reflexion und Kritik gebunden. Sich gegen Indoktrinationsversu-
che zu wehren, heißt zu reflektieren und zu kritisieren.

Mich interessieren weniger Ziele, Inhalte und Methoden solcher Versuche als
vielmehr ihre – auch im Adressaten begründeten – Erfolge oder Mißerfolge
und ihre personenunabhängige strukturelle Funktion. Langweilig erscheint mir
beispielsweise die Frage, warum und wie die Losung propagiert wurde, daß
„die Partei, die Partei . . . immer recht (hat)“; spannend hingegen ist die Tatsa-
che, daß es Menschen gab und gibt, die ihr uneingeschränkt folgten. Nebenbei
behaupte ich, daß das nicht etwa der Staatsbürgerkundeunterricht erreicht hat,
sondern „die Partei“; nicht Schüler, sondern SED-Mitglieder folgten dieser
Losung. Mich interessiert nicht so sehr, welche Doktrin in DDR-Lehrbüchern
über die Berlinfrage und den Mauerbau verkündet wurde und wie der entspre-
chende Unterricht tatsächlich aussah, als vielmehr eine Antwort auf eine ganz
persönliche Frage: Als ich am 10. November 1989 erstmalig im Westen war –
ich betrat West-Berlin –, beeindruckte mich zunächst am allermeisten, daß die
Stadt hinter der Mauer einfach weiterging: Die Straßenzüge, die Häuserfluch-
ten, die Bordsteinkanten fügten sich in meiner Wahrnehmung zum ersten Mal
in eins. Und mir fiel auf, daß ich nie zuvor daran gedacht hatte, mir Berlin als
eine Stadt vorzustellen mit gemeinsamen Bordsteinkanten, Häuserfluchten und
Straßenzügen – wo ich doch als Wissenschaftler auch im Osten stets darum
bemüht und ach so stolz darauf gewesen bin, wenigstens in meinem Denken
frei zu sein. Ost-Berlin kannte ich, aber warum war West-Berlin für mich bis
dahin nur ein Abstraktum geblieben, nur eine politische Kategorie, obwohl ich
doch jahrelang mit der S-Bahn an der Mauer entlanggefahren bin? An diesem