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Wahlperiode 13, Band V, Seiten 154 und 155
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Protokoll der 32. Sitzung

Leute müßten über eine Therapie mühsam wieder zur Erinnerung geführt wer-
den.

Außerdem gab es in der DDR tatsächlich soziale Milieus, die so stark von ein-
ander geschieden waren, daß sie voneinander nichts wußten. Es gab Leute aus
staatsnahen Milieus, die hatten keine Ahnung vom kirchlichen Leben oder
vom Alternativleben, wie andersrum auch. Es gab enorme Abschottungen der
Kenntnisnahme von anderen Milieus der DDR, das kann man heute kaum noch
glauben, obwohl es ja äußere Berührungspunkte gab.

Dazu kamen die schon genannten Mechanismen der seelischen Abspaltung
und Verdrängung, daß man einfach das nicht zur Kenntnis nehmen will, was
man nicht zur Kenntnis nehmen durfte. Es gab Parteifamilien, wo kein West-
fernsehen angeschaltet wurde. Es gab andere Familien, wo kein Ostfernsehen
angeschaltet wurde. Die Enttäuschung, von der Sie sprechen, hat damit zu tun,
daß das Aufleben, die Hoffnung, sich nach 1989 aus dieser Selbstabwertung
heraus zu entwickeln, in dem Moment kaputt gemacht wurde, wo die Devise
war: Ihr braucht euch nicht selbst zu entwickeln, ihr braucht nur unser Modell
zu übernehmen. Wo also eine Vereinigung nicht mehr stattfand, sondern ein
Beitritt. Ich habe selbst aktiv an der Ausarbeitung von Erziehungsvorstellun-
gen mitgewirkt, bis uns gesagt wurde: das braucht ihr gar nicht, wir überneh-
men das jetzt von Niedersachsen oder von Bayern, je nach dem, wo wir lebten.
Damit waren sozusagen unsere eigene Bemühungen, in mehr Selbständigkeit
hereinzuwachsen, abgeschnitten, unterbrochen.

Wir haben damit erneut eine Kränkung erfahren: Ihr seid nichts wert, wir brau-
chen euch nicht. Damit sind die Entwicklungspotenzen, die es gab, erneut be-
schädigt worden und dadurch ist die Enttäuschung zu begründen, das Gefühl,
nicht aus eigenen Kräften die Veränderung mitvollziehen zu können.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Reinhard Mocek: Ganz herzlichen Dank, Herr Dr.
Maaz, für diesen deduktiv analytischen Vormittag. Herr Eppelmann hat das
Wort.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Wir machen jetzt eine Pause und beginnen
um 11 Uhr wieder pünktlich.

(Pause)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns auch weiterhin mit unserer
kostbaren Zeit so verantwortlich umgehen. Deshalb bitte ich unser geschätztes
Kommissionsmitglied, Herrn Prof. Dr. Faulenbach, weiterzumachen.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Wir kommen jetzt zum Ab-
schnitt „Veränderung im Konsum- und Freizeitverhalten“. Wir haben gestern
einige Fragen hierzu bereits angesprochen, aber anders als gestern wollen wir
nun versuchen, die Veränderungen, die seit 1989/90 eingetreten sind, in den
Vordergrund unserer Betrachtungen zu stellen. Wir haben zwei empirische So-

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Selbstbehauptung und Anpassung

zialforscher eingeladen, die uns helfen werden, über die Veränderung im Kon-
sum- und Freizeitverhalten nachzudenken.

Ich darf Ihnen zunächst die Referenten vorstellen. Das ist zum ersten Herr Dr.
Herbert Geiger. Er ist Wirtschaftswissenschaftler, hat aber viele Jahre in der
Demoskopie gearbeitet, war von 1964 bis 1979 wissenschaftlicher Mitarbeiter
im Institut für Demoskopie Allensbach. In den Jahren 1979 bis 1995 leitete er
die Presseabteilung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirt-
schaft. Seit 1996 ist er Leiter des Bonner Büros des Instituts für Demoskopie
Allensbach. Zum zweiten darf ich Ihnen Herrn Dr. Harald Michel vorstellen.
Er ist Diplomsoziologe, hat von 1980 bis 1991 am Institut für Demographie
der Humboldt-Universität gearbeitet, war dort Mitarbeiter am Lehrstuhl für
Wirtschaftsgeschichte und ist seit 1992 Geschäftsführer des Instituts für ange-
wandte Demographie in Berlin. Schönen Dank, daß Sie gekommen sind. Es
beginnt Herr Geiger mit seinen Ausführungen. Beide Herren haben jeweils nur
15 Minuten Zeit für ihren Vortrag. Das ist sehr knapp angesichts der Komple-
xität der Fragestellungen, aber vielleicht gelingt es Ihnen doch, im Zeitrahmen
zu bleiben.

Dr. Herbert Geiger: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem span-
nenden Thema „Entwicklungen in den neuen Bundesländern im Vergleich zur
Situation in den alten“ möchte ich Ihnen aus unserem Allensbacher Material
mir besonders interessant erscheinende Befunde vorstellen, und zwar aus den
Bereichen ökonomische Einstellungen, wirtschaftliche Lage und Verhaltens-
weisen, Konsumorientierung und Mediengewohnheiten.

Ganz global läßt sich sagen, daß in den meisten Konsum- und Lebensberei-
chen das Aufeinanderzugehen und das Sichanpassen überwiegt. Die Ostdeut-
schen passen sich den Westdeutschen an, aber auch die Westdeutschen in ver-
schiedener Hinsicht den Ostdeutschen. Ins Auge sticht – und das halte ich für
einen recht bedenklichen Befund – daß in den neuen Bundesländern die Kritik
an unserem Wirtschaftssystem geradezu dramatisch wächst, während gleich-
zeitig die Verhältnisse in der alten DDR aus heutiger Sicht sehr viel rosiger
gesehen werden als unmittelbar nach der Wende. So hatten 1990 noch mehr als
drei Viertel der neuen Bundesbürger vom Wirtschaftssystem der Bundesrepu-
blik eine gute Meinung, Ende 1996 nur noch knapp ein Viertel. Gleichzeitig
sagen heute 41 Prozent, daß sie von der Bundesrepublik keine gute Meinung
hätten, gegenüber nur fünf Prozent sechs Jahre früher.

Auch in den alten Bundesländern ist die Kritik an unserem Wirtschaftssystem
gewachsen. Aber nur ein Viertel äußert eine dezidierte Skepsis. 1996 treten 55
Prozent der Ostdeutschen für eine staatliche Preiskontrolle für wichtige Le-
bensmittel ein, unter den Westdeutschen plädieren knapp 30 Prozent dafür,
aber sechs von zehn lehnen eine solche Kontrolle ab. Ein Blick in die fünfziger
Jahre zeigt allerdings, daß seinerzeit auch in Westdeutschland Preiskontrollen
mehrheitlich befürwortet wurden. Von 1948 bis 1958 votierten rund 70 Pro-
zent der Bürger dafür. Dieser Rückblick liefert doch einen gewissen Anhalts-
punkt dafür, wie lange es letztendlich doch dauert, sich mit der Umstellung