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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 64 und 65
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Protokoll der 22. Sitzung

verhindert worden.“ Ich meine, können Sie sich vorstellen, wie groß ich wur-
de, in dem Augenblick? Ich war jemand. Sigurt Binski, der frühere Vorsitzen-
de der VOS im gesamten Bundesgebiet, hatte den gleichen Tenor und die glei-
che Rede hinterher noch. Wir waren also nicht allein. Das waren Einzelmen-
schen und wenn ich an die vielen anderen denke, ich denke an Fritz Astor, Prä-
sident der Bank der Arbeit, ich denke an Joseph Abraham, diesen Menschen,
der es gewagt hat, sich in der SPD noch bis 1933 einen Hofgeismaraner zu
nennen, eine ganz üble Gruppe innerhalb der Jungsozialisten war das ja. Die
hatten ziemlich bedenkliche Ansichten über die Welt, aber er blieb das weiter.
Er blieb das auch in der Haft nachher. Ich denke an Fritz Drescher, den stell-
vertretenden Landrat von Merseburg, der 45 befreit, 48 wieder unbefreit wur-
de. Ich denke an Jule Bremenbeck. Diesen wunderbaren Menschen, der Verse
geschrieben hat. Ohne Papier einfach so und uns damit am Leben erhalten hat.
Er hat uns weiter gezeigt, wie schön Sprache auch sein kann. Ich denke an
Fritz Katten, den Vizepolizeipräsidenten von Berlin, aus Auschwitz kommend
in Bautzen gelandet, auf den Umweg über Sachsenhausen. Ich denke an den
Freund David Grossmann, der nur einen Brief an die Unra geschrieben hat und
dafür 15 Jahre als amerikanischer Spion bekommen hat. Ich denke an viele,
viele andere, ich denke an Julius Scherf, der 1946 nach der Zwangsvereinigung
hier eingeliefert wurde und hier elendig gestorben ist. Ich denke an so viele
andere, ich denke an gute Menschen. Aber dann denke ich auch an die, derer
sich auch das neue Regime bedient hat, und die dürfen wir auch nicht aus den
Augen verlieren. Es war einmal dieser Auschwitzmensch Kaduk, das war der
eiserne Gustav, Gustav Wegener, der Gestapochef, das war Withold von Rut-
ke, der Chef der lettischen SS und später dann in Bautzen ein grausamer Die-
ner seiner neuen Herren. Das war Hermann Kessler als SS-Oberführer, der
dann Chef der Lagerpolizei war, und es war Frau Mutschmann, die war Chefin
der Geheimlagerpolizei. Das heißt also, man hatte uns dort wieder in gute
Hände, in trainierte Hände übergeben. Auch daran müssen wir denken. Und
wenn, zum Schluß möchte ich noch sagen, diese beiden Opfergruppen, die sich
ja kennen, vorhin saßen hier ein paar, mit denen ich immer zusammenarbeite,
im Stiftungsbeirat in Sachsenhausen, vorhin haben wir noch festgestellt, der
Ignatz Bubis und ich, wir verzeihen uns nie, wir hatten nämlich noch nie einen
Grund uns böse zu sein, außer dem, wenn es um Geld ging, wenn der Haushalt
beraten wurde. Ich warte dann, wir konnten uns dann schon einmal böse an-
gucken, weil die eine oder andere Äußerung nicht so ganz gefiel. Aber anson-
sten arbeiten wir zusammen. Wir wissen genau, daß wir diese Gedenkstätte mit
ihrem gewaltigen Auftrag, nämlich eine Mahnung zu sein, davor, daß Men-
schen jemals wieder Menschen solche Greuel antun. Wir können das nur er-
halten und das können wir nur der Umwelt vermitteln, wenn wir auch bei aller
Distanz, bei allem Unverständnis, manchmal für die eine oder andere Seite,
zusammenarbeiten. Ich will zum Schluß etwas ganz Schönes sagen.

[Zwischenruf: Was Schlimmes oder Schönes?]

Ulf Müller: Was ganz Schönes, von mir kommt jetzt nur noch was Schönes,
ich bin glücklich und zufrieden, die Welt hat sich selbst befreit, wir brauchten

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Gedenkstättenarbeit für Nachgeborene

nicht einmal einen Krieg, um die Verhältnisse in Deutschland zu ändern. Man
stelle sich das einmal vor. In der Zeit als ich da für gesamtdeutsche Nichtant-
worten gearbeitet habe, wo auch Gerhard Finn war, jedesmal wenn ich nach 85
in die Zone fuhr, fragte er anschließend immer, wieso haben sie Dich wieder
rausgelassen? Das war unsere Freundschaft, ja so weit geht das bei uns. Zum
Schluß will ich was sagen, was ich neulich bei einer Gedenkfeier auf einem
Massengrabfriedhof auch gesagt habe, es gibt manchmal Sprüche der anderen
Seite, die soll man sich zu eigen machen. Und da gibt es etwas ganz Wunder-
volles: „Wir gehen zurück in eine andere Welt als Freiheitspartisanen, nicht als
Veteranen, wir stehen weiter fest zu unseren Fahnen, der Kampf geht weiter,
bis die letzte Festung fällt.“ Dankeschön.

[Beifall]

Vorsitzender Siegfried Vergin: Vielen Dank Herr Müller, jetzt kommt die
Runde der Enquete-Kommission, Prof. Weber bitte.

Sv. Prof. Dr. Hermann Weber: Herr Nöckel, ich habe mit großer Aufmerk-
samkeit ihr Referat verfolgt. Sie haben mir ja freundlicherweise vorher Ein-
blick gegeben, und ich möchte eine Passage doch verlesen, die Sie wahr-
scheinlich aus Zeitgründen nicht gebracht haben, oder aber auch weil die Herr-
schaften, die eigentlich angesprochen werden sollten, nicht mehr da sind. In
Ihrer Darstellung steht nämlich folgende Passage, Sie gestatten, daß ich die
vorlese:

„Die Mitglieder der Opferverbände aus der Nazizeit übersehen, wenn sie diese
Angriffe machen, daß in unserem Häftlingsbeirat und erst recht in den Bun-
desvorständen keine ehemaligen Nazifunktionäre mitwirken. Sie haben über-
sehen, oder wollen übersehen, daß unsere Organisation ja nicht nur Opfer der
Speziallager, sondern alle die erfaßt, die unter dem Stalinismus gelitten haben.
Dazu gehören Bürgerrechtler, Flüchtlinge von Ost nach West, die wegen Boy-
kotthetze usw. Verurteilten und auch Menschen, die einen besseren, ehrliche-
ren Sozialismus forderten und den Widerständlern der Nazizeit sehr nahe stan-
den.“

Dies sollte doch hier noch einmal verlesen werden, um zu zeigen, daß von die-
ser Seite das Angebot steht, zusammenzuarbeiten. Und daß es eben nicht
stimmt, wie das dort behauptet wird, daß das Nazis sind, mit denen man sich
nicht an einen Tisch setzen kann. Das zweite ist das, was Ulf Müller sagte, das
ist natürlich auch zu überlegen. Die Erlebnisse in Bautzen waren doppelter
Natur, weil dort eben in Funktionen als Funktionshäftlinge jene zu finden wa-
ren, die überhaupt verantwortlich waren, für das, was vorher geschehen ist.

Vorsitzender Siegfried Vergin: Herr Professor Maser.

Sv. Prof. Dr. Peter Maser Ich habe eine Frage, die mir schon kam, als Herr
Durand sich äußerte, und die mich in einer ganz anderen Weise auch heute
nachmittag dann noch einmal bewegt hat. Sie lautet kurz formuliert: Wie sieht
es eigentlich mit der Repräsentanz der verschiedenen Häftlingsverbände aus?