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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 180 und 181
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Protokoll der 44. Sitzung

versitätsprofessor in Dresden. Wir kennen uns schon lange von der Arbeit in
der Gauck-Behörde, wo er vorher war. Ich freue mich, Herrn Professor Dr.
Peter Reichel neben Herrn Dr. Fischer begrüßen zu können. Herr Reichel
kommt aus Hamburg, ist dort Professor für politische Wissenschaft und histo-
rische Grundlagen der Politik. Dann darf ich begrüßen Herrn Professor Dr.
Manfred Overesch, der von der Universität Hildesheim zu uns gekommen ist.
Er ist dort Ordinarius für Geschichte und Didaktik der Geschichte. Und damit,
meine Herren, habe ich Sie vorgestellt, so gut das jetzt ging. Ich freue mich,
wenn Sie jetzt unter der Leitung von Professor Dr. Manfred Wilke einen wich-
tigen Beitrag leisten mit empfehlenden Hinweisen für eine Gedenkstättenkon-
zeption aus den verschiedenen Sichten heraus, denn das ist unsere Hauptauf-
gabe.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke: Es ergeben sich aus der Auftei-
lung gewissermaßen zwei Blöcke. Zum einen wird der Kollege Henke noch
einmal über den Hintergrund dieser zwei Diktaturen sprechen, dem die Ge-
denkstättenkonzeption unserer Kommission gerecht werden muß. Kollege Rei-
chel wird noch einmal die Erinnerungskultur in Erinnerung rufen, wie sie sich
in der alten Bundesrepublik ausgebildet hat. Kollege Overesch wird über den
politischen Gebrauch des Antifaschismus in der DDR, den wir als Mißbrauch
bezeichnen, noch einmal informieren und über das, was Herr Fischer dazu bei-
zutragen hat, hat unser Vorsitzender das Nötige gesagt. Ohne langen Verzug,
Herr Kollege Henke, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke: Herr Vorsitzender, meine Damen und Her-
ren. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, in dieser Phase der Überlegun-
gen der Enquete-Kommission einen ganz konkreten Vorschlag zu machen.
Und ich will versuchen, diesen Vorschlag einzubinden in einige allgemeine
Aspekte doppelter Diktaturerfahrung in diesem Land.

Die Debatte über Trauern, Gedenken und Lernen im einzigen Land mit dop-
pelter Diktaturerfahrung mußte wohl zwangsläufig zwischen zwei Extrempo-
sitionen verlaufen. An dem einen Extrempol, und davon war heute schon die
Rede, verschwinden nationalsozialistische und kommunistische Diktatur ge-
meinsam hinter pauschalen Etiketten: Etiketten wie „politische Gewaltherr-
schaft“ oder „totalitäre Regime“. Das Ergebnis ist hier, wie ich das nennen
würde, eine nivellierende Enthistorisierung. Am anderen Extrempol dieser
Diskussion erscheinen die beiden Diktaturen als antagonistische Herrschafts-
formen sui generis ohne irgendwelche gemeinsamen Elemente. Das Ergebnis
ist eine isolierende Historisierung dieser Diktaturen. Diese beiden Positionen,
so denke ich jedenfalls, konnten in der ungeheuer lebendigen und zum Teil ja
auch aufgewühlten Gedenkstättendebatte seit 1990 zu extremistischen Positio-
nen marginalisiert werden. Das ist sicherlich ein Ergebnis. Und erreicht wurde
dies in einem gemeinsamen permanenten Gespräch zwischen den Opfern bei-
der Diktaturen – denen dabei übrigens am meisten abverlangt worden ist –,
zwischen Politikern, Wissenschaftlern und Publizisten und auch den Prakti-
kern in den Gedenkstätten, die dabei die schlimmsten Anfeindungen zu ertra-

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Demokratische Erinnerungskultur

gen hatten. Das Resultat war eine Schärfung der Wahrnehmung von NS-Staat
und SED-Staat in ihrer je eigenen historischen Gestalt. Und nach dieser großen
sieben- oder achtjährigen Debatte ist es sehr viel schwerer geworden, die dop-
pelte Diktaturerfahrung zu politisieren und bei dieser Politisierung im übrigen
die Würde der Opfer zu verletzen. Und es ist auch schwieriger geworden – aus
welchen Motiven auch immer – die Nazis hinter den Kommunisten ver-
schwinden zu lassen, aber auch umgekehrt. Diese Debatte über unsere zer-
splitterte Geschichte hat den Weg dafür ebnen helfen, daß der Toten und Ge-
quälten beider Diktaturen unabhängig davon gedacht werden kann, im Namen
welcher Ideologie sie terrorisiert worden sind, nämlich einfach als Menschen,
die in ihrer Würde angetastet und ihres Rechtes auf Leben und Unversehrtheit
beraubt worden sind. Dieses gemeinsame Gedenken, so glaube ich, ist die
emotionale Quintessenz der Erfahrung mit zwei Weltanschauungsdiktaturen.
Die intellektuelle Quintessenz der Debatte ist die Erkenntnis, daß es immer auf
Kosten des einzelnen geht, wenn die Ideen von 1789 im Namen kollektiver
Werte ausrangiert werden. Die einzigartigen Gegebenheiten in Deutschland
erlauben es, in unseren Gedenkstätten die erste und die zweite deutsche Dik-
tatur je für sich zu analysieren und zugleich aber auch zu zeigen, daß weder
der Nationalsozialismus noch der Kommunismus singuläre geschichtliche Ab-
irrungen gewesen sind, sondern zwei Komponenten eben des einen Kampfes
zwischen Demokratie und Diktatur, der von heute aus wohl als die Hauptsi-
gnatur des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts verstanden werden muß.

Meine Damen und Herren, ein gewisses Defizit der zurückliegenden Gedenk-
stättendebatte scheint mir freilich in einer Verkürzung von politischem Terror
auf Mordlager und U-Haft und in der Verkürzung des Kommunismus auf den
Stalinismus zu liegen. Dadurch besteht die Gefahr, daß die Subtilisierung von
Verfolgung und Schurigelung Mißliebiger und Oppositioneller im späten
Staatssozialismus, also der unsichtbare und der lautlose Terror, wie das ge-
nannt worden ist, unterbelichtet bliebe, der doch für Jahrzehnte des späten
Staatssozialismus in der DDR und anderswo gerade das Typische ist - eben
nicht das Lager, eben nicht der GULAG. Diese Konzentration auf den sichtba-
ren harten Terror à la Hitler und Stalin als die brachialste Ausprägung totalitä-
ren Verfügungsanspruchs ist freilich ganz verständlich. Erstens sind dadurch
allein in Deutschland Hunderttausende getötet worden, derer wir gedenken
müssen. Zweitens materialisiert sich in Form von Gedenkstätten dieser bra-
chiale Terror sehr gut, er wird sichtbar in Typhus-Baracken, in Genickschuß-
anlagen, in Krematorien und Folterkellern. Dieser harte Terror hat einen au-
thentischen Ort, den man besuchen kann und den man zu einem Lernort er-
weitern kann. Die lautlose Verfolgung im avancierten Totalitarismus spätso-
zialistischer Provenienz hat solche Orte nicht. Dieser leise Terror ist auch viel
schwerer faßbar. Er wirkte diffuser in die unterworfene Gesellschaft hinein. Er
ist didaktisch nicht einfach und überhaupt nur als ein hochintegrierter Verfol-
gungs- und Disziplinierungsmechanismus im Kontext des Regimes selbst dar-
stellbar. Er ist komplizierter. Der Lern- und Gedenkort, an dem Zersetzung,
Bedrängung und Gängelung im späten Staatssozialismus zum Thema gemacht