schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 92 und 93 (wp13b8_1_0097)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 92 und 93
92
Protokoll der 34. Sitzung

stischer, für den historischen Wandel offener Gebrauch des Begriffs „totalitär“
sinnvoll.

Vernünftige Alternativen sind auch nicht erkennbar. Der gelegentlich zu hö-
rende Vorschlag, doch besser von „moderner Diktatur“ zu sprechen, führt
nicht weiter, sondern in die Irre. Er bescheinigt bestimmten Diktaturen eine
Modernität, die einer kritischen Nachprüfung nicht standhält. Und was wären
die Gegenbegriffe zu „moderne Diktatur“? Vormoderne oder postmoderne
Diktatur etwa? Die Suche nach Ersatzbegriffen zu „totalitär“ hat bisher eher
Verwirrung hervorgerufen als Klarheit gebracht.

Eine andere Gefahr ist meiner Ansicht nach noch größer. Ich möchte sie die
nicht beabsichtigte sekundäre Apologie nennen. Würden wir aus Rücksicht auf
Empfindlichkeiten in einem Teil der öffentlichen Meinung Ostdeutschlands
den Begriff „totalitär“ tabuisieren, würden davon posthum nicht nur kommuni-
stische, sondern auch faschistische Diktaturen, obenan die nationalsozialisti-
sche, profitieren. Mit der Entdramatisierung des Begriffs beginnt die Ver-
harmlosung der historischen Wirklichkeit – bis hin zur Apologie. Ein kriti-
scher Vergleich fördert immer Gemeinsamkeiten und Unterschiede zutage.
Unkritisch wäre ein Vergleich, der die eine Diktatur zur Entlastung der ande-
ren heranzieht. Das hat beim altbundesdeutschen Historikerstreit 1986 Ernst
Nolte getan, als er den Holocaust aus dem Archipel GULag „abzuleiten“ ver-
suchte. Aber es gibt auch die Apologie in der ideologischen Umkehrrichtung.
Man kann die NS-Diktatur als Folie nehmen, um die DDR, mit Günter Grass’
Romanhelden Theo Wuttke zu sprechen, als „kommode Diktatur“ erscheinen
zu lassen. Bei dieser Art von Vergleich gerät die Berufung auf die deutsche
Katastrophe, die Herrschaft des Nationalsozialismus, zum Vehikel politischer
Entsensibilisierung: ein pathologischer Lernprozess.

Die Spaltung Deutschlands in zwei Geschichtskulturen ist ein Faktum, aber
keines, mit dem wir uns abfinden müssen. Die Formel meines geschätzten
Kollegen Hagen Schulze, es gelte, die unterschiedlichen Geschichtsbilder in
Ost und West zur Kenntnis zu nehmen und zu tolerieren, diese Formel kann
ich mir nicht zu eigen machen. Eine solche Harmonisierung von Gegensätzen,
eine Art intellektueller Burgfriede, würde weder der Wissenschaft noch der
Demokratie gut bekommen. Mit Blick auf das, was wir vom einstigen Ge-
schichtsdeutungsmonopol der SED noch heute nachwirken sehen, sollte die
Maxime gelten: Wir müssen diese Wirkungen ernstnehmen und uns mit ihnen
auseinandersetzen. Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Wir haben hier schon zwei
durchaus gegensätzliche Einschätzungen gehört und könnten eigentlich schon
anfangen zu diskutieren. Aber wir haben noch weitere, die wir zunächst hören
wollen. Herr Hans-Jürgen Fischbeck bitte.

93
Wechselseitige Wahrnehmungen und ihre Nachwirkungen

Dr. Hans-Jürgen Fischbeck: Ich möchte mich bedanken für die Einladung
und mir die Bemerkung nicht verkneifen, daß ich mir vor 10 Jahren überhaupt
nicht habe träumen lassen, einmal in diesem Hause an dieser Stelle zu sitzen.

(Beifall)

Ich denke, das muß auch mal gesagt werden.

Ich möchte etwas aus meiner Erfahrung als Studienleiter an der Evangelischen
Akademie in Mülheim sagen, und zwar etwas über die Muster von Orientie-
rungsverlusten und Orientierungslosigkeit in Ost und West, die meines Erach-
tens ganz verschieden sind und auch ganz verschiedene Ursachen haben. Nach
der Wende erschien, wie wahrscheinlich alle von Ihnen wissen, ein Buch – wie
ein Meilenstein gewissermaßen – unter dem Titel „Das Ende der Geschichte“
von Francis Fukuyama. Das Fazit dieses Buches war: Jetzt, wo der Kalte Krieg
zu Ende und der Staatssozialismus zusammengebrochen ist, ist Antwort gege-
ben auf die Fragen der Geschichte, und das Ende der Geschichte ist da. Da be-
darf es eigentlich keiner weiteren Orientierungen mehr, denn das Ziel ist er-
reicht, und man braucht auch nicht weiter zu fragen. So ungefähr könnte man
dieses Fazit zum Ausdruck bringen. Das war nun aber doch eine sehr vor-
schnelle Einschätzung.

Es muß doch weiter nach Orientierung gefragt werden. Beispielsweise gibt es
ein Kooperationsprogramm der Bertelsmann-Stiftung mit den evangelischen
Akademien in Deutschland unter dem Titel „Geistige Orientierung, Schritte ins
dritte Jahrtausend“. Wenn denn das Ende der Geschichte da wäre, brauchte
man keine Schritte mehr zu tun. Aber ich glaube doch, daß alle spüren, daß es
notwendig ist, nach Schritten zu fragen, und wenn man Schritte gehen will,
muß man auch nach Orientierungen fragen. Und da zeigt sich zunächst einmal
in Ost und West, glaube ich, Orientierungslosigkeit, allerdings gänzlich ver-
schieden. Auf der einen Seite haben wir Orientierungsverlust im wesentlichen
im Osten, und auf der anderen Seite haben wir postmodernen Relativismus im
Westen. Das sind verschiedene Muster mit ganz verschiedenen geschichtlichen
und kulturellen Hintergründen.

Im Osten, glaube ich, ist es ziemlich deutlich, worin der Orientierungsverlust
besteht. Da spielt der Zusammenbruch der sozialistischen Ideologie schon eine
Rolle. Wir haben heute vormittag Interessantes darüber gehört: Daß sie als sol-
che eigentlich wenig akzeptiert wurde, aber dennoch ganz erstaunlich nachge-
wirkt hat. Das spiegelt sich darin wider, daß, wie wir gehört haben, 71 % der
Menschen in Ostdeutschland sagen, daß der Kommunismus eine gute Idee
war, aber nur schlecht verwirklicht wurde, und daß selbst im Westen eine gro-
ße Zahl von Menschen vielleicht nicht vom Kommunismus so etwas sagen
würde, aber vielleicht doch vom Sozialismus. Das sind beides Ismen, das sind
beides Ideologien. Dennoch gibt es also eine Nachwirkung, und die Orientie-
rung an solchen Paradigmen, will ich sie mal nennen, ist eben zusammenge-
brochen. Da hat sich gezeigt: Dieser Kommunismus und dieser Sozialismus
waren nicht die Antwort der Geschichte. Und was denn nun? Dieser Orientie-