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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 100 und 101
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Protokoll der 34. Sitzung

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Als letzter Manfred Rexin.
Bitte sehr, Herr Rexin.

Manfred Rexin: Zur Rolle der Medien in den Jahrzehnten der Teilung und in
den Jahren der schwierigen Vereinigung wollte ich etwas sagen, aber unter
dem Eindruck dessen, was eben vorgetragen wurde, möchte ich auf meinen
vorbereiteten Text weitestgehend verzichten und stattdessen auf einen anderen
Aspekt eingehen, der zur Klärung des Sachverhaltes und zur Klärung der
Fronten beitragen mag. In jenem Jahr, als Sie aus diesem schrecklichen Ge-
fängnis entlassen wurden, entstand ein Text, den ich vortragen möchte, zufälli-
gerweise habe ich ihn mir mitgenommen, ein Text, veröffentlicht in einem
Buch, das der Herr Sachverständige Professor Manfred Wilke zusammen mit
dem aus der Tschechoslowakei stammenden Bürgerrechtler Jiri Pelikan 1977
bei Rowohlt veröffentlichte.

Der Text, ich verknappe das jetzt, lautete wie folgt: „Jäher, eruptiver Wandel
in Osteuropa, revolutionärer Umsturz erscheint fast unmöglich angesichts der
bewaffneten Macht, die den Herrschenden zu Gebote steht. Langsamer, steti-
ger evolutionärer Umbruch dagegen ist keineswegs ausgeschlossen – immer-
hin haben sich in den osteuropäischen Gesellschaften seit dem XX. Parteitag
der KPdSU 1956 bemerkenswerte Änderungen vollzogen, eine deutliche Ver-
feinerung der Herrschaftstechniken, die Abkehr von Terror, wie er in der stali-
nistischen Periode unverzichtbar erschien. Um das Bild aus der Meteorologie
zu verwenden: schwere Unwetter, orkanähnliche Stürme führen in Osteuropa
in der Regel dazu, daß der bewaffnete Katastrophenschutz neue Dämme auf-
schüttet, Schutzwälle erbaut, Türen und Fenster fester verrammelt. Zu wün-
schen ist diesen Gesellschaften ein langandauernder, stetiger Landregen, der
nach und nach immer mehr Schlamm und Geröll der stalinistischen Periode
wegspült [...] Die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition verfolgte Ziele, die
öffentlich definiert worden waren – sie waren darauf ausgerichtet, den Frieden
sicherer zu machen, die Last der deutschen Teilung zu mildern, besonders für
jene, die am härtesten davon betroffen waren, also ’menschliche Erleichterun-
gen’ zu schaffen. Die Ostpolitik Bonns sollte der Gefahr einer außenpolitischen
Isolierung von den eigenen Bündnispartnern vorbeugen, West-Berlin in seiner
bedrängten vorgeschobenen Position sichern, die Chancen ökonomisch- tech-
nischer und wissenschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Ost und West för-
dern. Daneben aber bestand auch eine nur selten offen deklarierte Zielstellung,
die nichtsdestoweniger für Ostpolitiker Bonns bestimmend war: das weltpoliti-
sche Klima so weit zu verändern, die internationalen Voraussetzungen dafür zu
schaffen, daß sich die auf Reform, auf gesellschaftlichen Wandel, auf Humani-
sierung und Demokratisierung der bestehenden Herrschaftssysteme in Ost und
West drängenden Kräfte entfalten konnten [...] Man dürfe nicht vergessen,
sagte Andrej Sacharow im März 1977, daß schließlich nur die Détente Voraus-
setzungen dafür geschaffen habe, wenigstens in geringem Umfang auf die Po-
litik kommunistischer Länder einwirken zu können: ’Eine Abkehr von der Dé-
tente wäre ein Unglück!’“

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Wechselseitige Wahrnehmungen und ihre Nachwirkungen

Aus diesem Sacharow-Argument etwa habe ich mir 1982/83 die Haltung der
neuen Bundesregierung Kohl/Genscher erklärt. Nun könnte man darüber me-
ditieren, warum sich eine bestimmte Veränderung in den Medien der 70er Jah-
re, in den 60er Jahren beginnend, dann noch stärker in den 80er Jahren vollzo-
gen hat. Als die Mauer fiel, als das Ende der DDR absehbar war, da haben sich
etliche meiner Kollegen und ich im damaligen RIAS gefragt: Was haben wir in
unseren Berichten über die DDR verkannt? Wieso sind wir nun auf einmal so
überrascht, sie als ein wesentlich instabileres Herrschaftsystem zu erkennen,
als wir vermutet hatten? Wo hatten wir uns getäuscht oder hatten wir uns täu-
schen lassen? Nicht nur wir. Herbst 1987, Honecker in der Bundesrepublik.
Das galt weithin, rechts wie links, als eine Art Ratifikation der deutschen Tei-
lung, als, um ein Wort des Schweizer Dramatikers Friedrich Dürrenmatt zu
zitieren, „inszenierte Beerdigung der deutschen Wiedervereinigung“. Ich zitie-
re aus der Neuen Zürcher Zeitung.

Wir hatten in der Tat unsere Haltung zur DDR in den 60er Jahren überprüft,
modifiziert und daraus Schlußfolgerungen für die Programme gezogen. Wir
hatten versucht, folgenden Tatbeständen Rechnung zu tragen. Aus einem der
Bücher, die Sie mitgebracht haben, wäre ein Text zu zitieren, der das noch
einmal erläutert. Ich will ihn mit Blick auf die knappe Zeit nicht vollständig,
sondern nur in Stichworten wiedergeben. Ich glaube, wir hatten erkannt, daß
eine Mehrheit der DDR-Bevölkerung nach wie vor in kritischer Distanz zur
SED, zu ihrer Führung und zu deren Herrschaftsmethoden verharrt, daß aber
dieses ihr Nein zum Staate Walter Ulbrichts noch nicht automatisch ein Ja zur
westlichen Gesellschaftsordnung bedeutete, so, wie sie sich damals in den 60er
Jahren darstellte. Wir hatten zudem entdeckt, daß sich in der DDR ein spezifi-
sches Leistungsbewußtsein entwickelt hatte unter den Menschen, Stolz auf das,
was sie unter unendlichen Mühen gebaut und geleistet haben. Man hatte dieses
Leistungsbewußtsein oft auch bei denen bemerken können, die angesichts ihrer
sehr schmerzlichen Erfahrung ein tiefes Mißtrauen gegenüber den meisten po-
litischen Repräsentanten der DDR hegten. Wir hatten bemerkt, daß es da das
Empfinden einer besonderen Solidarität anderen DDR-Bürgern gegenüber ge-
geben hatte, daß sich herausbildete, daß die Leute sehr schnell von „wir hier“
und „ihr dort“ sprachen, daß sie es nicht gern hatten, wenn wir in der Bundes-
republik ihnen in der DDR in einer bestimmten Attitüde der Überheblichkeit
begegneten.

Wir wußten, daß verallgemeinernde Urteile über die Brüder und Schwestern,
von denen bundesdeutsche Politiker gern zu sprechen pflegten, als handle es
sich um eine homogene Gruppe, als fragwürdig gelten mußten. Die Verhal-
tensweisen einer Millionenschar von Menschen waren höchst unterschiedlich.
Sie entzogen sich den unbedarften Formeln von dafür und dagegen sein. Da-
mals in diesem Text, den ich hier im einzelnen nicht vortragen wollte, habe ich
darüber meditiert, ob man das Sozialbewußtsein der DDR-Bevölkerung nicht
auf mindestens zwei Ebenen untersuchen müsse, in der Einstellung zum Re-
gime und in der Beurteilung des Systems; Regime war die Führung von Partei
und Staat im engeren Sinne, der Herrschaftsapparat, das Instrumentarium der