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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 102 und 103
102
Protokoll der 34. Sitzung

Machtsicherung, dagegen bedeutete System die sozial-ökonomische Grund-
struktur der Gesellschaft, die Gestaltung von Eigentumsverhältnissen, sozialen
Lebensbedingungen, „Sozialismus“. Wir hatten einige Vermutungen über die
Mehrheiten und Minderheiten: In der Beurteilung des Regimes weithin ableh-
nend, das sozial-ökonomische System sehr differenziert bewertend.

Meine Damen und Herren, als heute morgen erwähnt wurde, daß es diese Un-
tersuchungen gegeben hat, die Infratest anstellte, kam mir die Erinnerung an
einen ersten Modellversuch, den Infas 1966 unternommen hatte. Das war ein
Versuch im Auftrage des Senats von Berlin über eine Befragung von Passier-
scheinbenutzern, um das Stimmungsbild der Ostberliner zu erkunden. Der Pi-
lotversuch vom Januar/Februar 1966 wurde damals abgebrochen und von die-
sem Institut nicht fortgesetzt, soweit ich weiß, weil es einige skeptische Fragen
gab, ganz schlichte, einfache Fragen, nämlich erstens: Sagen die Ostberliner
ihren westberliner Besuchern wirklich, was sie denken, oder meiden sie im
Interesse familiärer Harmonie bei solchen Begegnungen kontroverse Themen
oder gar Streitthemen? Zweitens: Verstehen die Westberliner das, was die Ost-
berliner ihnen sagen über eine doch ganz andersartige soziale und politische
Wirklichkeit? Drittens: Sagen uns die Westberliner nach ihrer Rückkehr aus
Ostberlin das, was sie gehört haben, oder sagen sie uns eher etwas, was sie
gern gehört hätten, in der Erwartung, daß ein wohlmeinender und liebenswür-
diger, sympathischer Zeitgenosse so eine Ansicht doch eigentlich vertreten
sollte? Weil der Senat von Berlin, nach meiner Erinnerung, Zweifel hatte an
der Methodik dieses Verfahrens, meinte er, er solle sie nicht weiter fortsetzen.

Ich habe die erwähnten Infratest-Untersuchungen leider nie zu Gesicht be-
kommen, weder in meiner Zeit beim ZDF noch beim RIAS, und das hat ja
heute morgen die Referentin auch betont, daß sie strikt geheimgehalten wur-
den. Hätten wir sie gekannt, hätten wir zu der Zeit uns sehr interessiert erkun-
digt und darüber berichtet, wie das methodische Instrumentarium dieser Ana-
lysen gewesen ist.

Wären wir zu dem Ergebnis gekommen, sie sind absolut stichhaltig, hätte das
Konsequenzen für unsere Programmgestaltung haben müssen, speziell bei den
Sendern, die einen besonderen Sendeauftrag für die DDR hatten: Deutschland-
funk, RIAS, SFB oder Fernsehmagazine wie Kontraste, Kennzeichen D. Wir
hätten dann nämlich zum Beispiel, ausgehend von der These, 90 % der DDR-
Bevölkerung wollten das westliche Modell, auch sagen können: Na, wieso be-
richten wir so ausführlich über nicht-totalitäre freiheitliche demokratische So-
zialismusvorstellungen in der übrigen Welt als Alternative zum stalinistisch
geformten Sozialismus? Wir hätten sagen können, okay, das überlassen wir
einigen späten Programmen für schlafgestörte Intellektuelle.

Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, wir hatten ein bestimmtes Bild
entwickelt, mühsam genug auf Grund der unzureichenden Quellen, und
glaubten auf Grund dieses Bildes ein bestimmtes Programmangebot machen
zu sollen. Im Nachhinein so zu tun, als wäre diese Analyse völlig falsch gewe-
sen, kann ich nicht akzeptieren.

103
Wechselseitige Wahrnehmungen und ihre Nachwirkungen

Es ist sehr merkwürdig, das lassen Sie mich abschließend noch sagen, ich habe
das, was ich 1969 zu Papier gebracht hatte über das von mir vermutete Mei-
nungsbild in der DDR, 1989, zwanzig Jahre später, 1990, besser gesagt, unter
dem Eindruck von vier Wahlgängen als weitgehend widerlegt betrachtet. Ich
habe gedacht, ich hätte mich geirrt und überschätzt die Versuche der DDR-Be-
völkerung oder eines Teils, wohlgemerkt eines Teils, sich mit irgendwelchen
alternativen Sozialismusmodellen auseinanderzusetzen.

Fünf Jahre später war ich nicht mehr so ganz sicher, widerlegt zu sein. Denn
ich stellte mir auf Grund der heute zum Teil vorgetragenen, durch EMNID-
Umfragen und andere zu analysierende, noch zu untersuchende Ergebnisse
natürlich die Frage: Was spielt hier in der heutigen Stimmungslage der neuen
Bundesländer eine Rolle? Kommen da alte Prägungen wieder hoch? Oder ist
das das Ergebnis einer zum Teil sehr schmerzlichen Erfahrung einer neuen So-
zialordnung? Oder handelt es sich um eine Verbindung von beiden Prägungen
– denen der 50er und 60er Jahre mit schmerzlichen Erfahrungen dessen, was
man Vereinigungskrise nennen könnte?

Ich will nur noch einmal eines sagen, weil wir ja hier die Schlachten der Ver-
gangenheit immer wieder ansprechen: Was wäre wohl die Alternative gewesen
zu dem Versuch, die DDR erst einmal als eine böse Realität zu nehmen in der
Hoffnung, sie verändern zu können? Was wäre die Alternative gewesen? Die
Alternative wäre der Umbruch, der Umsturz, die Revolution, die große Krise
gewesen. Und deshalb denke ich, sollte man, um diese Alternative in ihren
Konsequenzen zu erwägen, noch abschließend ein Zitat einfügen, das Zitat ei-
nes deutschen Politikers 1988, der mit Blick auf die DDR 1953, Ungarn 1956,
die Tschechoslowakei 1968 und Polen in den 70er und 80er Jahren folgendes
geschrieben hat: „Wegen der damit verbundenen Gefahr lebensgefährlicher
kriegerischer Verwicklungen konnten und können Volkserhebungen in den
Staaten des Warschauer Paktes nicht unterstützt werden. Es hat deshalb keinen
Sinn, die Notsituation dort so zu verschärfen, daß die Belastungen für die
Menschen unerträglich werden und es zur Explosion kommt. Während der
Westen auf den Bänken gesicherten Wohlstandes sich auf die Zuschauerrolle
beschränkt, gibt es drüben Tote, Verwundete, massive Strafen und Verfolgun-
gen. Ich jedenfalls konnte und kann auf Grund meines christlichen Gewissens
eine solche Politik nicht hinnehmen oder gar fördern.“ Zitat aus Franz Josef
Strauß: Erinnerungen, abgeschlossen 1988 – anderthalb Jahre vor dem Mauer-
fall, der den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums einleitete. Vielen
Dank.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Meine Damen und Herren,
wir wollen hier eigentlich über die Gegenwart und die Zukunft reden. Wir sind
aber bei einer Diskussion über die Vergangenheit gelandet. Nun scheint mir
das insofern verständlich zu sein, als wir von der Gegenwartsmächtigkeit der
Vergangenheit in verschiedenen Hinsichten ausgehen können. Wir müßten al-