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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 104 und 105
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Protokoll der 56. Sitzung

andererseits die innerkirchliche Entwicklung unter Kontrolle zu halten, zumal
sich unter dem Schutz der evangelischen Kirche vor allem oppositionelle
Gruppen zu bilden begannen, daß eine Basis für Opposition also gegeben
war, die nach Auffassung der Staatssicherheit besonders zersetzungswürdig
war. Ich möchte mich nicht mit einer langen Vorrede aufhalten, sondern darf
den ersten Referenten des heutigen späten Nachmittags aufrufen, Herrn Pfarrer
Ehrhart Neubert. Er wird uns über die Kirchen und den Staatssicherheitsdienst
etwas zu sagen haben. (Beifall)

Pfarrer Ehrhart Neubert: Sehr verehrter Herr Vorsitzender, meine Damen
und Herren! Das Thema auf 20 Minuten zu bringen, ist schwierig, und ich
will auch nur versuchen, einige Schneisen in diesen Komplex zu schlagen,
muß aber einleitend bemerken, daß die Intensität, mit der die Arbeit an diesem
Thema gegenwärtig vorangetrieben wird in der Publizistik, in der Forschung,
sich sicherlich auch dadurch erklärt, daß in die Diskussion zahlreiche politische
und kirchenpolitische Interessen mit eingetragen werden. Es wird oft bedauert,
aber ich denke, man sollte es als ehemaliger DDR-Bürger endlich auch einmal
begrüßen, daß wir politische Interessen haben dürfen und nicht mehr unter
Konsensdruck stehen. (Beifall)

Es gibt wohl auch kaum einen Beteiligten an dieser Diskussion, der sich
nicht irgendwelchen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Einerseits wird unterstellt,
Aufklärer wollten spektakuläre Enthüllungen vollbringen und sich damit
profilieren, oder sie wollten gar den Kirchen schaden oder würden aus
Verletztheit unangemessene Motive eintragen. Andererseits wird kritisiert,
daß verharmlost wird, wichtige Daten unterschlagen werden oder belastendes
Material uminterpretiert wird. Diese der Aufklärung abträgliche Situation wird
aber so lange noch anhalten, solange die Beteiligten in den Kirchen zum
Teil noch arbeiten, und zwar auf beiden Seiten. Das ist auch etwas, was ich
positiv empfinde im Gegensatz zu der Diskussion oder zu der verdrängten
Diskussion nach dem Krieg. Wir haben zum ersten Mal in Deutschland
in den Kirchen unmittelbar nach dem Geschehen eine Diskussion um die
Vergangenheit. Solange die Bedeutung der Kirchen als moralische Instanz
in unserer Gesellschaft noch da ist und solange sie eine hervorragende
verfassungsrechtliche Stellung hat, ist auch die Öffentlichkeit berechtigt,
Fragen an die Kirchen zu stellen, und die Kirchen müssen sich diesen Fragen
nicht nur im eigenen, sondern auch im Interesse der Gesellschaft stellen, denn
es geht weit über innerkirchliche Angelegenheiten hinaus, was da passiert ist.
Es ist eine Frage der politischen Kultur unseres Landes, ganz Deutschlands,
was damals geschehen ist und wie wir damit fertigwerden. In methodischer
Hinsicht hat sich ja auch schon seit den Anfängen der Aufklärung viel
getan. Einmal hat sich gezeigt, daß wir sorgsam mit dem Aktenmaterial
umgehen müssen, daß wir eine Hermeneutik entwickeln müssen mit dem
MfS-Schriftgut. Ich denke, da hat sich schon vieles getan, daß man weder

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

das Schriftgut mit der Realität verwechselt noch sagen kann: Was da steht,
ist überhaupt nicht verwertbar. In meiner Kurzdarstellung will ich in sechs
Punkten 1. den Wandel und die Kontinuität konspirativer Kirchenpolitik kurz
thematisieren, 2. Aspekte der IM-Problematik, 3. der Opferfrage, 4. möchte
ich auf ein bislang wenig bearbeitetes Thema eingehen, auf die mit den
Kirchenfragen befaßten MfS-Offiziere und andere staatliche Funktionäre. 5.
soll bedacht werden, inwieweit die SED und das MfS erfolgreich soziale und
kulturelle Muster nutzen konnten, die in den Kirchen verankert sind, waren
und schon viel älter als die SED und das MfS selbst sind. Und 6. möchte ich
abschließend ein paar Bemerkungen noch zu den Grenzen des Einflusses des
MfS machen.

1. Von der Konfrontation zur „Partnerschaft“

Während der schrittweisen Machtergreifung der Kommunisten nach dem
Krieg – wir haben schon einiges gehört, das will ich radikal kürzen – hat die
SED sofort die stalinistische Religions- und Kirchenpolitik übernommen und
wurde sogar aus der Sowjetunion selbst von der dortigen Führung gebremst,
weil es dort noch andere deutschlandpolitische Interessen gab. Wichtig aber
war, daß von Anfang an in gesellschaftspolitischer Hinsicht die Kirchen
aus der Öffentlichkeit verdrängt werden sollten und religiöse Betätigung
privatisiert werden sollte. Die demokratische Formel von der Trennung
von Staat und Kirche wurde für diesen Zweck eingesetzt und mißbraucht.
Diese beiden Elemente kommunistischer Religionspolitik durchzusetzen ist
bis zum Ende, bis 1989, auch stets immer und ungebrochen von der SED
versucht worden. Aber die Bandbreite der Strategien war natürlich groß,
und auch der Staatssicherheitsdienst hat in den verschiedenen Phasen sehr
unterschiedlich agiert. Bis zum Krisenjahr 1953 hat er im wesentlichen
sich einfach nur an der maßlosen Unterdrückung und Verfolgung von
Christen und kirchlichen Aktivitäten beteiligt, aber er hat selbst noch keine
kirchenpolitische Rolle gespielt, wie er es dann später tun konnte. Erst nach
1953 suchte die SED, was Prof. Wilke auch herausgearbeitet hat, neue Wege
in der Kirchenpolitik. Es war einfach unumgänglich, daß man diese offene
Konfrontation nicht so ohne weiteres weiterführen konnte. Zwar setzte die
SED auch administrative Mittel ein: Verhaftungen, Zwangseinführung der
Jugendweihe, propagandistische Angriffe gegen Kirchenleiter und Bischöfe,
Verbot von ganzen Arbeitszweigen, z. B. der Bahnhofsmissionen usw. Aber
es sollte als wichtigeres Element nun versucht werden, die Kirchen von
innen heraus aufzuweichen. Auf der einen Seite wurde dann eine offizielle
Kontaktebene schrittweise eingeführt, an der Spitze das Staatssekretariat für
Kirchenfragen oder der Staatssekretär für Kirchenfragen, ihm nachgeordnet
die verschiedenen zuständigen Abteilungen Inneres mit ihren Referenten für
Kirchenfragen dann in den Territorien, und vor allen Dingen wird in dieser Zeit
dann das MfS besonders intensiviert oder angeregt, seine kirchliche Arbeit zu