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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 190 und 191
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Protokoll der 57. Sitzung

sich schwertaten im Umgang mit den vielen Ausreisewilligen. Viele haben
es damals abgelehnt, solche Personen sehr aktiv in Aktionen einzubeziehen
oder ihnen Verantwortung zu übertragen. Es bestand der permanente Verdacht,
daß diese Personen durch ihre Mitarbeit nur ihr Ausreiseverfahren beschleu-
nigen wollten. Vertreter der Gruppen wie auch Vertreter der Kirchen standen
auf dem Standpunkt der Veröffentlichung der Kirche „Leben und Bleiben in
der DDR“.

Eine relativ kleine Gruppe aus dem Bereich der Menschenrechtsgruppierungen
hat sich den Anliegen der Ausreiseentschlossenen geöffnet, weil immer
deutlicher wurde, daß Ausreiseentschlossene in einer rechtlosen Position
waren. Es fällt mir heute im nachhinein auf, daß die Kirchen sich für
die Entspannung in Sachen Ausreiseentschlossene relativ problemlos zur
Verfügung stellten. Die weitere Entwicklung ging dann mehr oder weniger
über viele hinweg, die um ein einvernehmliches Verhältnis zu den staatlichen
Stellen bemüht waren und innerkirchlich einen Abgrenzungskurs zu den
Gruppen durchsetzen wollten.

Ich breche hier einmal ab, würde gerne noch etwas zu den Vorgängen um die
Kommunalwahlen sagen, aber das finden Sie dann in den Texten. Ich danke
für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Davon ausgehend, daß eine ganze Reihe
unter uns eine solche chronologische Zusammenstellung nicht hat zur Kenntnis
nehmen können, habe ich das so auch in dieser Länge durchgehen lassen,
obwohl wir jetzt wieder, das muß ich ganz deutlich sagen, in Schwierigkeiten
kommen werden.

Jetzt gleich Bruder Stauss aus Lauchhammer hinterher. Und dann nur
Verstehensfragen, denn die beiden Brüder, die im Augenblick reden, sollen
uns nur dabei behilflich sein, daß wir alle voll motiviert und voller Verständnis
ins Podiumsgespräch mit einsteigen können. Also, es gibt jetzt hier danach
keine große Diskussion mit den beiden Referenten, sondern tatsächlich nur
Verstehensfragen. Bitte schön, Bruder Stauss.

Pfarrer Curt Stauss: Ich bin Pfarrer in Lauchhammer, einer Industriestadt
etwa 50 Kilometer nördlich von Dresden entfernt. Ein Text liegt Ihnen nicht
vor, das heißt, ich muß zu Ende bringen oder, ohne daß Ihnen etwas vorliegt,
abbrechen. Ich werde mich darum bemühen.

„Die Kirche und die Gruppen“ – Gruppen gab es immer in der Kirche. Das
Thema aber wurde virulent, als seit Anfang der achtziger Jahre zunehmend
Gruppen mit ihren Treffen, Papieren und Aktivitäten die Sicherheitsorgane
der DDR beschäftigten, und als staatliche Stellen in demselben Maß Druck
auf Kirchenleitungen auszuüben begannen. Das Thema „Die Kirche und die
Gruppen“ wurde zunehmend virulent, denn Netzwerke von Basisgruppen

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Die Kirchen und die Gruppen

sind entstanden. Zuerst schon 1971 das Netzwerk der Zweidrittelweltgrup-
pen in Gotha, dann 1975 ein Netzwerk von Umweltgruppen, die mit dem
kirchlichen Forschungsheim Wittenberg eine Studien- und Koordinationsstelle
hatten, schließlich ab 1983 das jährliche DDR-weite Basisgruppentreffen
„Konkret für den Frieden“, das bis zu 200 Vertreter und Vertreterinnen von
Friedensgruppen, Zweidrittelweltgruppen, Umweltgruppen und Frauengrup-
pen zusammenbrachte. Zu DDR-Zeiten war das eine ganz außerordentliche
Organisationsleistung, um so mehr, als wir jetzt ahnen, wie sehr wir da
behindert worden sind. Und nicht nur untereinander trafen sich diese etwa 200
Menschen, sondern jedesmal waren Vertreter der gastgebenden Landeskirche
und Mitglieder des Vorstandes der Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR
dabei, so daß ein Gespräch zwischen Kirchenleitungen und Gruppen stattfand.
Die Veranstaltungen der Friedensdekade gewannen seit 1981 eine wachsende
Öffentlichkeit und stellten 1982 mit dem Aufnäher „Schwerter zu Pflugscha-
ren“, mit dem sich viele Gleichgesinnte in der Öffentlichkeit wiedererkannten,
eine enorme Ermutigung der einen und eine enorme Beunruhigung staatlicher
Organe dar. Zunehmend virulent wurde das Thema „Kirche und Gruppen“ auf
die ersten Nachrichten hin, daß auch Frauen für den Mobilmachungs- bzw.
Verteidigungsfall gemustert werden sollen. Zahlreiche Frauengruppen „Frauen
für den Frieden“ entstanden, die gegenüber den zuständigen Wehrkreiskom-
mandos und gegenüber der kirchlichen Öffentlichkeit erklärten, daß sie für
einen solchen Einsatz nicht zur Verfügung ständen. „Die Kirche und die
Gruppen“ – das Thema klingt polarisierend: hier die Kirche, da die Gruppen.
Das Thema ist der ungenaue Ausdruck für unterschiedliche Entwicklungen.
In den Gruppen fanden sich zunächst Menschen zusammen, die Solidarität
suchten. Friedens- und Umweltgruppen haben durch öffentliche Aktionen –
weit über den staatlich erlaubten Rahmen hinaus – sichtbar gemacht, was auch
die Synoden der Kirchen in der DDR in aller Deutlichkeit, aber eben ohne
starke Resonanz, erklärt hatten, z. B. zur Raketenstationierung. Menschen-
rechtsgruppen, zum Teil bewußt außerhalb der Kirchen tätig, fragten nach
Menschenrechtsverletzungen in der DDR. Subkulturen mit emanzipatorischem
Anspruch entstanden, vor allem in der offenen Arbeit in einigen Großstädten.
Ausreiser versuchten, die Kirche für ihr einziges Ziel, eben auszureisen, zu
instrumentalisieren.

„Die Kirche und die Gruppen“ ist aber zugleich der ungenaue Ausdruck für die
genannten, höchst unterschiedlichen Entwicklungen, denn zum einen gab es
Gruppen in der Kirche, zum anderen waren Kirchenleitungsmitglieder selbst
Mitglieder von Basisgruppen. Unter der Hand wurde der ungenaue Ausdruck
oft genau und meinte dann: Wie gehen Kirchenleitungen mit Initiativen, mit
Initiativgruppen, mit dem, was man in einer westlichen Diskussion etwa zur
gleichen Zeit schon „neue soziale Bewegungen“ nannte, um? Wie gehen