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etwas in Erfahrung bringen konnten, das festgehalten. Auf diese Weise hätte
eine sorgfältige Lektüre dann schon einen Eindruck davon vermitteln können,
daß Anlagen und Technik veraltet waren, Verkehrsnetz und Fernmeldenetz
ungenügend und ganze Stadtzentren sanierungsbedürftig waren.
Fazit: Es war schwierig mit den Daten und Fakten aus der DDR. Man konnte
sich aber – auch hier im Westen – über wichtige ökonomische Grundtatbestän-
de informieren.
Gesprächsleiter Abg. Prof. Dr. Rainer Ortleb (F.D.P.): Herr Dr. Volze bit-
te.
Dr. Armin Volze: Ich erfülle hier den Auftrag, über die Wahrnehmung der
DDR-Wirtschaft im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in der
Zeit von 1970 bis 1989 zu berichten. Ich muß dazu einige kurze persönliche
Vorbemerkungen machen. Ich bin im April 1970 aus dem Bundeswirtschafts-
ministerium in das gerade umbenannte Bundesministerium für innerdeutsche
Beziehungen (BMB) gewechselt. Dieser Wechsel hatte mehrere Gründe. Ich
interessierte mich für die DDR, hatte eine spezielle Vorliebe für bilaterale
Verhandlungen und war überzeugt, daß sich auf dem Gebiet der innerdeut-
schen Beziehungen in Zukunft einiges bewegen würde. Diese Erwartung ist
nicht enttäuscht worden, wenn auch das Gewicht des BMB in diesem Prozeß
aus vielfachen Gründen immer stärker abnahm.
Ich übernahm 1970 im BMB die Leitung des Referates für Wirtschaft, Finan-
zen, Verkehr und Post mit drei Mitarbeitern. Schon nach einem Jahr begann
eine höchst intensive Arbeitsphase, ausgelöst durch das Viermächteabkommen
über Berlin als Startschuß für die vertragliche Ausgestaltung der innerdeut-
schen Beziehungen. Ich selber wurde durch diese operativen Aufgaben bis in
die späten 70er Jahre fast vollständig in Anspruch genommen. Zunächst waren
es die Verhandlungen über das Transitabkommen, danach kamen Verkehrsab-
kommen, Postabkommen und vieles andere mehr. Während dieser Zeit hat je-
weils einer meiner Mitarbeiter im Referat die Aufgabe Wirtschaftsbeobach-
tung DDR selbständig wahrgenommen. Ich selbst konnte mich der Wirt-
schaftsbeobachtung erst gegen Ende der 70er Jahre und vor allem dann in den
80er Jahren zuwenden.
Ich habe heute zwei Schwierigkeiten, wenn ich gefragt werde, wie ich die
wirtschaftliche Situation der DDR eingeschätzt habe. Einmal habe ich die
Entwicklung in den 70er Jahren – die, wie ich heute glaube, ganz entscheidend
war – mehr oder weniger nur aus der Entfernung und aus zweiter Hand wahr-
genommen. Das zweite Problem ist, daß ich heute auf mein zweifelhaftes Ge-
dächtnis und einige Zufallsunterlagen angewiesen bin, denn ich habe seinerzeit
(fast) nichts publiziert und habe keinen Zugang mehr zu den Akten. Man ist
dann leicht in der Versuchung, sich ex post als prophetisch zu empfinden. Ich
benutze deshalb jede sich bietende Gelegenheit, im Gespräch mit sachkundi-
gen Kollegen und Freunden mich meiner früheren Einschätzung zu vergewis-
sern. Das Ergebnis ist so befriedigend, wie es sein kann. Man versichert mir,
ich sei immer äußerst skeptisch gewesen und hätte in den 80er Jahren sogar
das wirtschaftliche Ende der DDR vorausgeahnt. Das letztere lassen wir ein-
mal dahingestellt, aber die Tatsache, daß ich skeptisch gewesen bin, glaube ich
unbesehen, weil Skeptizismus zu meinem Wesen gehört.
Ein Ministerium ist kein Forschungsinstitut. Wir konsumierten im Wirtschafts-
referat des BMB die Erkenntnisse und Forschungsergebnisse anderer und
werteten sie unter politischen Aspekten aus. Dabei interessierten uns weniger
wissenschaftliche Methodenfragen, die internen wirtschaftlichen Abläufe in
der DDR und das Funktionieren der Planwirtschaft im Detail, sondern es inter-
essierten die konkreten, politisch relevanten Ergebnisse. Dazu gehörte die ge-
nerelle Frage: Wie stark oder schwach ist die DDR ökonomisch, und wie wird
sie sich weiterentwickeln? Speziell interessierten die Punkte:
1. Wie ist die Versorgungslage und wie reagiert die Bevölkerung darauf?
2. Wie steht es mit der Außenhandelsabhängigkeit und mit der Westverschul-
dung?
Aus der Einschätzung dieser Fragen konnten sich operative Ansätze für huma-
nitäre Maßnahmen oder für Verhandlungen mit der DDR über Verbesserungen
im Berlinverkehr oder im Reiseverkehr ergeben. Es ging letztlich also um die
Frage, ob die Zeit günstig war, um für wirtschaftliche Konzessionen politische
und humanitäre Zugeständnisse zu erhalten. Es ging nicht mehr – um das hier
ganz deutlich zu sagen – um die Frage: Wann bricht die DDR endlich wirt-
schaftlich zusammen und wie kann man das noch beschleunigen? Das war die
Perspektive der 50er und 60er Jahre, nicht mehr die nach 1970 unter allen Re-
gierungen, die in dieser Zeit regiert haben.
Unsere Informationen über die Wirtschaftslage der DDR stammten aus nach-
richtendienstlichen und diplomatischen Erkenntnissen, aus Berichten unserer
Ständigen Vertretung in Ostberlin, des Bundeswirtschaftsministeriums und der
Deutschen Bundesbank und aus den Analysen wissenschaftlicher Institute. Ich
erwähne von den Instituten das dem Ministerium nachgeordnete Gesamtdeut-
sche Institut, über das Herr Buck nachher noch sprechen wird, und die For-
schungsstelle – ein Residuum des früheren Forschungsbeirats unter der Lei-
tung Professor Thalheims, auf deren verdienstvollen jährlichen Symposien im
Berliner Reichstag sich alles traf, was sich im Westen mit der DDR-Wirtschaft
beschäftigte. Eine besondere Bedeutung in der empirischen DDR-Forschung
hatten die Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, über die
Frau Cornelsen eben schon berichtet hat.
Es wird einmal, wenn alle Archive und Akten geöffnet sind und nicht nur die
veröffentlichten Forschungsergebnisse zur Verfügung stehen, eine interessante
Aufgabe sein, die westlichen Erkenntnisse darauf abzuklopfen, inwieweit sie
von den Realitäten der DDR-Wirtschaft entfernt waren. Das sollte ohne billige
Überheblichkeit geschehen, denn die Aufgabe war schon sehr schwierig. Der
Informationsnebel, den die DDR verbreitete, machte die veröffentlichten An-
gaben und Statistiken zu einer zweifelhaften Arbeitsgrundlage für gesamtwirt-