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schaftswissenschaftliche Analyse durchzuführen, wie das Dokument vom
27. Oktober 1989 über die Lage der DDR-Wirtschaft zeigte.
An diesem Dokument ist interessant, daß die DDR-Wirtschaftsführung auf ei-
ne Finanzierung zurückgegriffen hatte, die die Nationalsozialisten bei der
Kriegsführung benutzt hatten. Als der Schleier der Fiktionen und Illusionen
von der DDR-Wirtschaft 1989 zurückgezogen wurde, zeigte sich die ungeheu-
re Dimension des Ruins der DDR-Wirtschaft: sie besaß maximal 20 % der
Produktivität der bundesdeutschen. Es gibt einen Forscher an der TU in Dres-
den, Herr Kollege Blum, der konstatierte, daß die DDR 1990 das Niveau ge-
habt hat, wie 1943/44. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Gesprächsleiter Abg. Prof. Dr. Rainer Ortleb (F.D.P.): Vielen Dank Herr
Professor Schneider, bitte Herr Dr. Romberg, Finanzminister der Regierung de
Maizière.
Dr. Walter Romberg: Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielleicht ein
paar Worte zu meiner Person. Ich bin eigentlich Mathematiker und kein Öko-
nom und habe mich 1990, wenn ich mich politisch beschäftigt habe, mit kirch-
lichem Hintergrund um politische und militärische Sicherheitspolitik geküm-
mert. Aus diesem Grunde erwarten Sie von mir bitte keine kompetenten Aus-
sagen über die DDR-Ökonomie. In Absprache mit dem Veranstalter möchte
ich etwas vortragen, was sozusagen zwischen dem Programm von jetzt –Zwi-
schenbilanz der Transformation – steht. Ich möchte sozusagen eine Fallge-
schichte berichten, die auch zum Problembereich der Wahrnehmung gehört,
Wahrnehmung der Fähigkeiten, der Wirtschaftsorganisierung und Wahrneh-
mung der Fähigkeiten von Wirtschaftspolitik.
Ich möchte einige historische Bemerkungen zu einem Aspekt der Transforma-
tion der DDR-Wirtschaft machen, der den heutigen Zustand der ostdeutschen
Wirtschaft entscheidend mitbestimmt hat. Der Aspekt, der für mich der Haupt-
punkt des politischen Versagens im deutschen Einigungsprozeß ist: Ich meine
das Fehlen 1990 (und später) eines angemessenen wirtschaftspolitischen
Strukturanpassungskonzepts für die DDR-Wirtschaft, insbesondere für die In-
dustrie, oder, wenn Sie so wollen, das Fehlen einer der Aufgabe angemessenen
Wirtschaftspolitik schlechthin.
Dabei betrachte ich den Zeitraum Februar bis September 1990 aus dem Blick-
winkel meiner Erfahrungen als Leiter der DDR-Gruppe in der gemeinsamen
Experten-Kommission von Bundesrepublik Deutschland und DDR für die
Vorbereitung einer Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft (Februar bis
April 1990) und als Mitglied der Regierung de Maizière (April bis August
1990).
Ich unterscheide drei Phasen:
- Februar bis Anfang April (Regierung Modrow)
- Mitte April (Beginn der Regierung de Maizière) bis zur Währungsunion
(1. Juli 1990)
- Juli bis September 1990.
Zur ersten Phase:
Nach dem Angebot der Bundesregierung an die Regierung der DDR Anfang
Februar 1990 für die Herstellung einer Währungsunion begannen am
20. Februar die Gespräche der gemeinsamen BRD-DDR-Experten-Kommis-
sion.
Von der DDR-Seite wurde von Anfang an nachdrücklich auf die Notwendig-
keit einer längeren Strukturanpassungsphase und eines entsprechenden Anpas-
sungsprogramms für die ostdeutsche Wirtschaft hingewiesen. Daß es dabei zu
einem solchen Anpassungsprogramm für die DDR-Wirtschaft kommen würde,
schien aufgrund der früheren wirtschaftlichen Anpassungsprogramme für Teile
Westeuropas – Saarland, Griechenland, Portugal, Spanien – fast selbstver-
ständlich. In einem Papier der DDR-Seite vom 2. März 1990, in dem zunächst
darauf verwiesen wird, daß die Arbeitsproduktivität in der DDR um 40-50 %
niedriger liegt als in der BRD und etwa 70 % der Unternehmen dort bei einem
„Wurf in das kalte Wasser“ ohne Förderung in eine Konkurslage kommen, und
daß dies mehrere Jahre mit einer Arbeitslosigkeit in Höhe von 1,5-2 Millionen
verbunden wäre, wird festgestellt:
„Wir müssen [...] mit allem Ernst die Frage einer Strukturanpassungsphase für
den Übergang zur internationalen Konkurrenzfähigkeit unserer Betriebe und
Unternehmen für einen Zeitraum von mindestens 3-4 Jahren stellen. Wir halten
das für ein Kernstück der Schaffung einer Währungsunion und Wirtschaftsge-
meinschaft“.
Vorgeschlagen wird deshalb die Erarbeitung von Grundsätzen und Modalitäten
einer solchen Strukturanpassungsphase in der gemeinsamen Arbeitsgruppe.
Hintergrund für die DDR-Position ist die Expertise des damaligen DDR-In-
stituts für angewandte Wirtschaftsforschung vom 22. Februar. Sie enthält die
grobe „Konzeption zur Strukturanpassung der Wirtschaft der DDR bei der
Herstellung der Währungsunion“. Darin wird geschätzt, daß ca. 80 % der Be-
triebe und Unternehmen der DDR aller Bereiche nicht konkurrenzfähig und
deshalb existenzgefährdet sind. In der Expertise wird ein klares allgemeines
industriepolitisches Konzept für die Strukturanpassung vorgelegt mit allge-
meinen Kriterien dafür, welche Industrie-Zweige zu fördern bzw. nicht zu för-
dern sind. Dazu gehört auch das Kriterium, ob im jeweiligen Industriezweig
die Kapazitäten der analogen Branche in der Bundesrepublik weitgehend aus-
gelastet sind oder nicht – d. h. das Konzept ist auf einen mit BRD-Interessen
abgestimmten Industrieaufbau ausgerichtet. Dabei spielen das Kriterium
„Langfristige Lieferverpflichtung in die Sowjetunion“ und das Kriterium „Ab-
satzmöglichkeit in Osteuropa“ eine Rolle. (Diese beiden letzten Kriterien tre-
ten zu dieser Zeit auch in westdeutschen Analysen auf.)
Anhand dieser Kriterien benennt das Strukturanpassungskonzept, welche
DDR-Wirtschaftsbereiche unter marktwirtschaftlichen Bedingungen Förderbe-