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- Fähigkeiten zur Wahrnehmung des jeweils anderen Systems existieren nur
eingeschränkt (der ostdeutsche Irrtum: die Erwartung gesamtwirtschaftli-
cher Vernunft – der westdeutsche Irrtum: die Erwartung der wirtschaftli-
chen Selbstregulierung) - Wahrnehmungs- oder Handlungsfähigkeit sind durch Interessenverflech-
tung eingeschränkt.
Dankeschön.
Gesprächsleiter Abg. Prof. Dr. Rainer Ortleb (F.D.P.): Vielen Dank. Das
Wort hat Herr Dr. Matthias Artzt, Ministerium für Wissenschaft, Forschung
und Kultur des Landes Brandenburg.
Dr. Matthias Artzt: Meine Damen und Herren, Herr Eppelmann, recht vielen
Dank für die Einladung, heute hier vortragen zu können. Meine Wahrnehmun-
gen gehen aus jenseits von den Entscheidungszirkeln der DDR-Wirtschaft, und
es ist ja sicher, daß unsere Wahrnehmungen nicht wahr sind, sondern von un-
seren persönlichen Situationen ausgehen, von den Wünschen und Ängsten, wir
haben das ja heute gemerkt.
Nun zu den Wahrnehmungen: Die Opposition war nicht nur gekennzeichnet
durch ein Grollen im Bauch, sondern es gab auch konzeptionelle Vorschläge
von den verschiedensten Gruppen, die sich nicht erst 1989 konstituierten, son-
dern teilweise unbekannt untereinander vor der Zeit existierten. Noch vor dem
4. November 1989 legten wir, eine freie Forschungsgemeinschaft, die sich
schon seit 1987 regelmäßig traf, ein Analysepapier der DDR-Wirtschaft vor,
das an verschiedene Persönlichkeiten und Gruppen verteilt wurde. Zu dieser
Gruppe gehörten u. a. Wolfgang Ullmann, Gerd Gebhardt, der Direktor der
DDR-Volksbanken, ein Abteilungsleiter eines Unternehmens, ein Kunsthisto-
riker u. a. Das Konzept trug den wenig werbewirksamen Titel: „Aus der Er-
starrung verwalteter Objekte im Subjektmonopolismus zur Selbstorganisation
im Subjektpluralismus“. Mit fadenscheinigen Begründungen wurde eine Ver-
öffentlichung in der „Zeitschrift für Philosophie“ erst im Mai 1990 möglich.
Ich möchte auf zehn Charakteristika der DDR-Wirtschaft und Gesellschaft aus
diesem Papier eingehen.
1. Das Prinzip der Problemignoranz
Der abrechnungspflichtige Akteur im Wirtschaftsprozeß war oft gleichzeitig
Verantwortungsträger für die Erfolgsdurchsetzung. Aufgrund dieser struktu-
rellen Interessenkonflikte eskalierten so in einem nichtkontrollierten Füh-
rungssystem Mißerfolge zu Flächenschäden.
Auf diese Weise entstand bei Strafe der Absetzung ein psychologisch vermit-
telter Zwang zur systematischen Schönfärberei. Die im Detail beginnenden
Fehler und Mängel wurden auf der Entscheidungsebene nicht erkannt und
konnten auf der Verursacherebene erst nach Eintritt der Katastrophe bewiesen
werden.
2. Das Prinzip der „organisierten Verantwortungslosigkeit“
Verantwortung für eigenes Handeln wurde unter Berufung auf eine übergeord-
nete Instanz nicht mehr existentiell wahrgenommen. Verantwortung wurde
nach ganz oben akkumuliert und verflüchtigte sich dort in einem Kollektiv.
Auf diese Weise verlor sich die Menge der Realverantwortung durch eine un-
persönliche Hierarchisierung ins Abstrakte. Nötige Kurskorrekturen wurden
erst sichtbar, als es bereits zu spät war. Niemand sah sich direkt in der Verant-
wortung, Korrekturen vorzunehmen, weil die sich stets als Ausführende be-
greifenden Akteure weigerten, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Die ganze Stasi-Diskussion um Opfer und Täter spiegelt diese verhängnisvolle
Konstellation der Verdeckung und Verschleierung von Verantwortung bis
heute wider.
3. Das Prinzip der Geheimhaltung
Die bisher genannte fatale Tendenz wurde durch systematische Geheimhaltung
oder Unterbindung aller zur Kritik Anlaß gebenden Analysen des Realzustan-
des in der Wirtschaft, im Sozialen und beim Umgang mit der natürlichen Um-
welt verstärkt. Tatsächlich hätte eine Offenlegung kein Sicherheitsrisiko für
die Gesellschaft, sondern lediglich für die Subjekte des Machtmonopols be-
deutet. Die fehlende Offenlegung der Negativwirkungen führte so zu einer
Fehleinschätzung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung und auch der
Regierung, wie ich vorhin feststellte, über die tatsächliche wirtschaftliche La-
ge. Auf diese Weise wurde das Ausmaß der Staatskrise der DDR erst nach Of-
fenlegung aller Verschlußinformationen, also erst retrospektiv, sichtbar.
Hinter diesem Prinzip der Geheimhaltung steckte auch der Wunsch der SED-
Führung – er ist wohl in Erfüllung gegangen –, daß sich niemand ein Gesamt-
bild verschaffen sollte, um so alle Mängel nur als individuelle Einzelfälle in-
terpretieren zu können.
Herr Schürer teilt sicher meine Erkenntnis, denn er äußerte vorhin, daß er auch
erst nach der Wende gesehen hat, was eigentlich los war.
4. Das Gefügigkeitsprinzip
Entscheidungsträger wurden nicht nach dem Kompetenzprinzip, sondern nach
dem Gefügigkeitsprinzip ausgewählt. Auf diese Weise war Sachkompetenz
nach oben systematisch verdünnt. Fehlende Sachkompetenz wurde meist durch
nicht hinterfragbare Verfügungsgewalt verdeckt. Dies führte zu einer negati-
ven Auslese.
5. Innovation als Störfaktor
Verhalten, wie Engagement und Kreativität, das sich nicht aus dem Gefügig-
keitsprinzip ableiten ließ, wie es Herr Döring beschrieben hat, mit MMM usw.
also „Meister der Messe von Morgen“, und die vorgegebenen Normen beach-
tete, wurde als Störfaktor behindert und sogar bekämpft. Dies geschah aus dem