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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 130 und 131
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Protokoll der 20. Sitzung

die Anpassung, gegen die Nische, für eine aktive politische Arbeit und für die
offene Opposition entschieden hatten, mit den bis zum Schluß vorhandenen
schärfsten Instrumenten der Repression zuzusetzen und die Formen, die man
anwandte, nicht etwa, wie manchmal wohlmeinend interpretiert wird, zum
Schluß durch eine Art Liberalisierung oder gar Humanisierung milder als zu
Anfang gemacht zu haben, sondern die Formen im Grunde genommen auch
nach berechnetem Kalkül einzusetzen, also immer abzuwägen: Wie wirksam
ist ein Berufsverbot? Wie wirksam ist die Störung des Privatlebens? Wie
wirksam ist das Setzen auf die psychische Anfälligkeit des Betreffenden?
Wie wirkt eine konzentrierte Observation? Wie wirkt das Ausspielen der
Situation der einzelnen gegeneinander im Hinblick auf den beabsichtigten
Effekt? Wann nützt auch das nichts? Wann muß ich zu offen kriminellen, auch
nach DDR-Verständnis offen kriminellen Handlungen, wie diesen anonymen
Verleumdungsaktionen – etwa wie die Postkartenaktion bei Rainer Eppelmann
und auch bei mir, wie die sexuellen Schweinereien und vieles andere – und
zu der tatsächlichen Bedrohung von Leib und Leben, die es ja auch bis zum
Schluß gab, greifen, um mir die tatsächlich entscheidende Herausforderung,
auch für die Staatssicherheit oft entscheidende Herausforderung der direkten
juristischen Konfrontation zu ersparen?

Daß es in der Endzeit der DDR sowenig dazu kam, hängt, denke ich, mit dem
Ausbau der Vorfeldmechanismen zusammen, also mit der Chance, bereits dort
viele Leute abzufangen und vor der letzten Konsequenz zurückzuhalten. Es
hängt damit zusammen, daß man mit dieser relativ kleinen Opposition nicht
nach der Methode von großen, harten Schauprozessen vorgehen konnte und
letztlich dann auch nicht wollte, sondern meinte, mit den Methoden dieses
hier in Ausschnitten vorgestellten Repressionsinstrumentariums die Sache in
der Entwicklung und unter Kontrolle zu halten.

Daß dies letztlich nicht gelang, würde ich nicht so sehr dem historischen
Verdienst der DDR-Opposition zuschreiben – sie hat vielleicht ihren Teil
daran –, sondern anderen Umständen, die dann allerdings die Akteure auf den
verschiedenen Seiten, die Akteure der Opposition, die Akteure der Repression,
aber auch die Beteiligten an Verweigerung, an den Formen der offenen und
verdeckten Anpassung und Komplizenschaft in eine ganz andere Situation
hineinstürzten, allerdings in eine Situation, in der die Frage der offenen
Entscheidungsfähigkeit, wie sie heute da ist, einen eher in den Stand versetzen
müßte, rückblickend zu fragen und zu formulieren, und zwar nicht: Was
hat damals Entscheidung unmöglich gemacht?, sondern umgekehrt: Was hat
aufgrund dieser anderen Bedingungen, der Bedingungen der Diktatur, solch
eine Vielfalt von Entscheidungen, von Grautönen neben den scharfen Tönen
von schwarz und weiß eigentlich möglich gemacht? Was hat die einzelnen
Schritte verhindert oder ermöglicht? Ich glaube, im Fragen, im Suchen danach

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

sind wir weiter am Anfang, und ich hoffe, daß wir vielleicht auch in diesen
Tagen ein Stück zur Antwort darauf beitragen.

Danke.

(Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank für Wolfgang Templin.
Wir haben jetzt noch 30 Minuten Zeit, um den beiden, denen wir jetzt zugehört
haben, Fragen zu stellen, die angesprochenen Probleme zu erweitern oder zu
vertiefen. Ich bitte Sie um Ihre Signale, daß Sie fragen oder etwas dazu sagen
wollen. Wenn Sie reden, bitte ich Sie, deutlich zu machen, wen von beiden
Sie fragen.

Erste Meldung: Gert Weisskirchen.

Abg. Prof. Weisskirchen (SPD): Ich habe eine Frage an beide. Ehrhart
Neubert hat ja, wenn ich es richtig sehe, versucht, von der persönlichen
Betroffenheit der einzelnen aus das Feld etwas genauer zu strukturieren, und
hat, wie ich finde, mit Recht die innere Schwebelage gezeichnet zwischen
widerspenstigem Opportunismus auf der einen Seite und angepaßter Rebellion
auf der anderen. Wolfgang Templin hat die sozialen Mechanismen hinter Grati-
fikation und Sanktion offenbar gemacht und den gesamten Repressionsapparat
in allen Differenzierungen dargelegt.

Beide treffen in einem Punkt an den Kern der Sache, und hier möchte ich
nachfragen. Wolfgang Templin hat das so bezeichnet, daß eine existentielle
Entscheidung notwendig war: Wohin gehe ich? Zum Widerstand? Oder
verharre ich in dieser Schwebelage, wie es die Mehrheit der DDR-Bevölkerung
erlitten oder erlebt hat?

Das wollte ich genauer wissen: Was war der Punkt? Ist er in der einzelnen
Biographie aufscheinbar, ober hat es etwas mit Zielen zu tun, die für den
einzelnen als Individuum wichtig sind oder wo er etwas mit einem anderen
gesellschaftlichen Entwurf verbunden hat? Wo war der existentielle Punkt, der
für einen selber ausmachte: Hier kann ich nicht anders, hier durchbreche ich
alle Mechanismen, die ich kenne, und entscheide mich selbst?

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich möchte mehrere Fragen zulassen. Als
nächste Angelika Barbe.

Abg. Frau Barbe (SPD): Ich möchte zu einem Punkt nachfragen. Wolfgang
Templin hat deutlich gemacht, daß diese soziale Isolation der Opposition dazu
führte, daß die Bürger in der DDR von der Opposition abgeschottet wurden;
denn sie hatten Angst: Wenn ich mich mit denen einlasse, geht es mir ähnlich.
Diese Mechanismen wirkten also in dieser Richtung.

Für mich ist jetzt die Frage: Kannst du bestätigen, Wolfgang, ob diese
Mechanismen noch heute wirken? Ich habe bei Unterschriftenaktionen, z. B.
zu Verfassungsfragen, erlebt, daß Leute mir sagen: Ich trau mich nicht zu
unterschreiben, weil ich Angst habe, daß meine Daten wieder gespeichert