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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 162 und 163
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Protokoll der 20. Sitzung

Tätigkeit – ich war damals im öffentlichen Dienst, bei der BVB (Berliner
Verkehrsbetriebe) – in absehbarer Zeit, also in den nächsten Tagen, verlieren
würde und daß von mir – wörtlich – „kein Hund mehr einen Knochen nehmen“
würde. Man wollte mich praktisch damit zwingen, innerhalb von acht Tagen
meinen Ausreiseantrag zurückzunehmen, oder ich müßte die Konsequenzen
voll tragen.

Wir haben den Antrag nicht zurückgenommen, ich in Absprache mit meiner
Frau. Die Kinder waren damals zehn und elf Jahre alt. Ich wurde dann auch
nach acht Tagen fristlos bei den BVB gekündigt wegen staatsfeindlichen
Verhaltens. Man hätte für solche Leute, die „Verrat an der DDR“ üben, in
einem öffentlichen Betrieb keinen Platz mehr. Die Repressalien setzten sich
fort. Ich versuchte vergebens, in Berliner Großbetrieben eine neue Tätigkeit
als Kraftfahrzeugschlosser, als Kraftfahrer aufzunehmen. Die Zusammenarbeit
mit den staatlichen Organen funktionierte also.

Man kann nicht immer nur die Krake Stasi sehen. Ich sehe es auch heute so,
daß viele damals über ihren Kompetenzbereich hinaus sich an den Menschen
vergangen haben. Sie schieben heute leider die Verantwortung sehr weit
von sich weg. Früher hatten sie alle große Kompetenzen: Abteilungsleiter,
Kaderleiter. So könnte man viele aufzählen. Aber sie versuchen heute, die
Schuld von sich zu weisen.

Ganz kurz die Reihenfolge der Repressalien: Man drohte von seiten der
Schule und vom Rat des Stadtbezirks Friedrichshain, Abteilung Innere
Angelegenheiten, man könne nicht zulassen, daß die Kinder gegen den Staat
erzogen würden, und wir sollten uns darüber klarwerden, daß man uns die
Kinder entziehen könne.

Wir lebten ein Jahr von unseren Ersparnissen. Dann wurden das Auto verkauft
und unsere Einrichtung. Wir hatten uns ein Jahr vorher neu eingerichtet. Möbel
und gute Gebrauchsgüter waren in der DDR nicht billig, daß weiß jeder. Wir
hatten lange gespart. Wir lebten jedenfalls gut anderthalb Jahre von unseren
Ersparnissen und vom Verkauf unseres Mobiliars. Anschließend war dann alles
verbraucht. Wir hatten eigentlich immer Angst gehabt.

Wir lernten dann zufälligerweise die Samaritergemeinde kennen. Ich kann den
Kirchen in der gesamten ehemaligen DDR, nicht nur in Berlin, nur einen
großen Dank aussprechen, denn sie waren damals ein Sammelbecken für
viele Menschen, für junge Menschen, aber auch für ältere, für Menschen,
die verzweifelt waren, die Probleme hatten, z. B. mit dem Wehrdienst, die
in vielen Fragen mit dem Staat einfach nicht mehr klarkamen und sich
dort getroffen haben, wo Menschen miteinander sprechen konnten. Ich hatte
das Glück, mich damals der Samaritergemeinde anschließen zu können, und
wurde bis zu meiner Ausreise als teilbeschäftigter Mitarbeiter der Kirche, als
Haushandwerker, angestellt und bin bei vielen Gliedern der Gemeinde bis

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

heute noch tätig. Denn ohne die Hilfe dieser Leute noch weit über ein Jahr
hätten wir das nicht unbeschadet geschafft.

Ich möchte nur noch bemerken: Als wir ausgereist sind, wog meine Frau 37
kg. Sie mußte noch einmal ärztlich vorgeführt werden, weil man sagte, man
lasse keine kranken Menschen aus der DDR ausreisen. Wir sind am 1. März
1984 glücklich aus der DDR ausgereist.

Vielen Dank.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Herzlichen Dank, Herr Dembicki.
Als nächste bitte ich jetzt Silvia Mangoldt aus Erfurt.

Silvia Mangoldt: Zunächst möchte ich für die Einladung danken und
vorausschicken, daß mich die Schicksale, die ich jetzt höre, sehr betroffen
machen. Ich stelle dabei fest, daß meine eigene Verdrändung die ganze Zeit
über ziemlich gut funktioniert hat. Ich habe aber während der Ausarbeitung
dieser Darlegungen bemerkt, daß ich mich noch einmal intensiv damit
beschäftigen muß, und habe auch eine Ahnung davon bekommen, warum
mich meine Arbeit jetzt im Kinderheim – ich habe vor einem Jahr auch wieder
im Kinderheim gearbeitet, dann nach der Wende – wieder so sehr emotional
betroffen, oft aggressiv gemacht hat: weil ich mit Erziehern und mit Problemen
zu tun hatte, die ich schon vor der Wende kannte.

Ich möchte noch eines zur heutigen Anhörung sagen. Ich finde es schade,
daß so wenig Öffentlichkeit da ist,

(Beifall)

ich würde es aber noch schlimmer finden, wenn bei der Presse das Bild derart
entstehen würde, daß sich das aus Mangel an Interesse so darstellt. Das ist aber
auf keinen Fall so, sondern das ist einfach ganz schlecht publiziert worden.

(Beifall)

Jetzt einige Anmerkungen zu den Erfahrungen, die ich in dem Kinderheim in
Erfurt gemacht habe. Ich habe dort im August 1988 nach meinem Psycholo-
giestudium zu arbeiten begonnen und war dort die einzige Psychologin. Ich
hatte vorher von meiner Familie, weil wir auch oft die Erfahrung gemacht
hatten, daß Widerstand überhaupt nichts bringt, daß das nur Mundverbrennen
ist, mit auf den Lebensweg bekommen:

Schweig lieber, wenn etwas ist, was gegen deine Meinung geht; so brauchst
du dir nicht den Mund zu verbrennen, brauchst aber auch nicht zu lügen.

Ich habe das lange Zeit durchgehalten, weil ich mein Psychologiestudium gern
abschließen wollte. Das war aber für mich mit einer moralischen Verpflichtung
verbunden, daß ich dann den Mund aufmachen wollte, wenn ich mein
Ziel erreicht hatte. Es war dann mit der Arbeitsaufnahme im Kinderheim