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sollte bei der Heimleiterin, sie kenne sie auch schon aus früheren Gesprächen
und früheren Erfahrungen.
Jetzt versuchte man, die gute persönliche und fachliche Beziehung zwischen
Frau Härtel – das war die Erzieherin, sie sitzt auch jetzt im Auditorium – und
mir zu zerstören, da wir gemeinsam zu unbequem waren und zuviel hinter-
fragten. Wir wurden einzeln zu Vieraugengesprächen geladen. Die Ergebnisse
wurden jeweils entstellt und falsch wiedergegeben, vor den Kollegen oder auch
uns gegenseitig, um uns irgendwie auseinanderzubringen. Oder man wurde
einzeln, gewissermaßen als Angeklagte, vor eine Gerichtsversammlung – das
waren in der Regel die Leitungssitzungen oder die Dienstberatungen, in denen
alle oder viele Erzieher und die Heimleitung anwesend waren – ohne Voran-
kündigung zitiert und mußte dann Beschuldigungen, Kritik, Verleumdungen
über sich ergehen lassen. Man bekam nie oder fast nie die Möglichkeit, Dinge
richtigzustellen, aus der eigenen Sicht darzustellen oder zu rechtfertigen. Im
Anschluß an diese Gerichtsversammlung wurde der Eintrag in die Kaderakte
mitgeteilt oder bei Uneinsichtigkeit mit der Meldung und Vorstellung beim
Schulrat gedroht. Das würde dann schlimmer für uns ausgehen.
Mit diesen Maßnahmen wurden wir auch systematisch isoliert von den anderen
Erziehern. Es sprach zum Schluß keiner mehr mit uns. Sie alle hatten Angst,
mit uns gesehen zu werden. Wenn wir in den Raucherkeller oder an ein
Plätzchen gingen, wo sich mehrere aufhielten, gingen die anderen weg.
Schließlich versuchte man, uns auf politischem Gebiet Unreife und Staats-
feindlichkeit nachzuweisen. In einer Dienstberatung beispielsweise forderte
die Heimleiterin die Erzieher auf, mich und Frau Härtel mit Argumenten
von der Mitgliedschaft in der DSF zu überzeugen. Es kamen Argumente
wie, diese Mitgliedschaft zeige die Einstellung zur Partei, zum Staat, zum
Sozialismus und zur Sowjetunion, die Mitgliedschaft in der DSF gehöre zu
jeder sozialistischen Erzieherpersönlichkeit; sonst könne das Erzieherkollektiv
nicht um den Titel „Sozialistisches Erzieherkollektiv“ kämpfen.
Die obligatorischen Politinformationen, die die Erzieher wöchentlich bei ihren
Gruppen durchführen mußten, wurden bei Frau Härtel nun kontrolliert. Man
kritisierte die Themen, die Durchführung. Man verlangte die schriftliche
Vorbereitung der Politinformation und die vorherige Kontrolle durch die
Heimleitung. Ich will nur noch kurz ein Beispiel dazu nennen. Eine schriftlich
vorbereitete Politinformation wurde mit den Worten „zu unkonkret und zu un-
genau“ zurückgegeben, mit der Auflage, sie noch einmal zu überarbeiten und
zur Kontrolle vorzulegen. Die Vorlage der inhaltlich gleichen Politinformation,
nur in Tabellenform, weil das so im Erzieherstudium gelehrt wurde, ergab dann
von derselben Heimleiterin, die nur kurz einen Blick darauf war, das Urteil
„gut“ und konnte so durchgeführt werden.
Die Repressalien gingen dann noch weiter. Wir wandten uns an die SED-
Kreisleitung. Von dort wurden wir verwiesen an die Stadtbezirksschulrätin,
Frau Burkert, bei der wir uns vorstellten und um ein Gespräch baten. Vor
dem Termin kam dann die Heimleitung schon mit der Stadtbezirksschulrätin
zusammen; man hatte sich auf eine Linie geeinigt. Uns wurde dann in dem
Gespräch zum Schluß die Alternative vorgestellt: Entweder Sie halten sich
an die politische Linie, oder Sie gehen. Wir haben es beide vorgezogen zu
gehen.
Ich hatte im Juli 1989 eine Besuchsreise zu meiner Tante in die Bundesre-
publik, und ich blieb drüben. Meine Freundin, die Erzieherin in dem Heim,
flüchtete im Oktober über Ungarn in die Bundesrepublik.
Es existieren übrigens noch in Stasi-Unterlagen ganz genaue Mitteilungen
darüber, daß man uns auch nicht zurückkommen lassen wollte, weil wir
zu gefährlich wären für dieses System in Erfurt. Im Februar 1990 wollten
wir in die DDR zurückkommen, was wir auch am 13. Februar taten. Wir
trafen dort auf genau dieselben Strukturen, genau dieselben Leute in genau
denselben Ämtern, mit genau denselben Funktionen in den Ebenen und
baten um Wiedereinstellung in dem Heim. Damals arbeiteten die Instanzen –
Wohnungspolitik, Abteilung Kader und Bildung – noch ganz prima zusammen,
so daß wir auch nicht an eine Wohnung herankamen. Wir wurden fünf Wochen
lang hingehalten. Man sagte mir, die Stelle sei noch frei; dann stellte sich
heraus, daß man sie kurzfristig besetzt hatte, nachdem ich mich wieder dafür
beworben hatte. Eine Nachfrage jetzt hat ergeben, daß in dem Kinderheim
immer noch dieselben Erzieher mit derselben Heimleiterin arbeiten!
(Beifall)
Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Silvia Mangoldt, ganz herzlichen
Dank für diesen Bericht, der deutlich macht, wie vielfältig diese Strukturen
sind und wie unterschiedlich dann auch Betroffenheit sein kann.
Der nächste in unserer Runde ist Götz Gringmuth-Dallmer.
Götz Gringmuth-Dallmer: Verzeihen Sie mir, daß ich, bevor ich anfange,
über das eigentliche Thema zu reden, voranstellen möchte, daß es mir vor
einer Woche nicht möglich gewesen wäre, angesichts der für mich sehr
bedrückenden Situation im Moment in diesem Lande hier zu reden. Aber ein
Unrecht wird nicht besser, wenn man über ein anderes schweigt. Deswegen
werde ich jetzt doch erzählen.
Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen und bin einen sehr
normalen Weg gegangen. Ich war Junger Pionier, war in der FDJ. Ich war
auch zwei Jahre lang in der achten und neunten Klasse FDJ-Sekretär, da ich
mit 14, 15 Jahren doch der etwas naiven Ansicht war, vielleicht durch meine
Tätigkeit Dinge in meinem Sinne verändern zu können.
Ich bin aber schnell an meine Grenzen gestoßen. Es begann in der zehnten
Klasse, als alle FDJ-Funktionäre darüber abstimmen sollten, daß wir für den
militärischen Nachwuchs in unseren Klassen zu werben hätten. Ich habe nicht