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an das revolutionäre Projekt der Oktoberrevolution hatte sich schrittweise
ergeben, es war kein Programm von Anfang an, sondern das Resultat aus
immer erschreckenderen Einsichten in den tatsächlichen Zustand der Sowjet-
gesellschaft, die Gorbatschow zu immer radikaleren Maßnahmen trieben, bis
schließlich im Frühjahr 1989 die vollständige Übernahme der Grundsätze
rechtsstaatlicher Demokratien und sozialstaatlicher Marktwirtschaften auf dem
Programm stand.
Für das Ende des Ost-West-Konflikts wurde es entscheidend, daß Gorbatschow
auch dann noch an diesem Programm festhielt und es gegen vielfache
Widerstände zu behaupten wußte, als deutlich wurde, daß eben dieses
Programm zu einer Auflösung des Sowjetimperiums führte. Diese Auflösung
war keineswegs in seinem Sinne. Aber nachdem jeder Einsatz militärischer
Gewalt gegen Unabhängigkeitsbewegungen jedweder Art die Perestroika zum
Scheitern zu bringen drohte, waren ihm die Hände gebunden. Er konnte
wohl noch taktieren, aber letztlich nicht mehr verhindern, daß sich die
Nationalitäten gegen die Moskauer Zentrale auflehnten und die Länder des
Warschauer Pakts von der Einparteienherrschaft befreiten, die Stalin ihnen
aufgezwungen hatte. Der Fall der Berliner Mauer markiert darum sehr präzise
das Ende des Konflikts: Nachdem sich die Sowjetführung den Rückgriff auf
die Repression auch dort versagte, wo sie formal als Siegermacht des Zweiten
Weltkriegs präsent war, war definitiv klar, daß es keinen Ostblock mehr gab.
So überdeckte und transzendierte der Ausfall der einen Konfliktseite die noch
laufenden Bemühungen um eine Eindämmung des Konflikts.
Es verdient abschließend festgehalten zu werden, daß es die führenden Reprä-
sentanten des Sowjetsystems selbst waren, die diese Entscheidungen getroffen
haben. Sie agierten nicht etwa aus einer Frustration ihrer Revolutionshoffnun-
gen; diese hatten sich im mühevollen Kampf ums Überleben in Wahrheit schon
längst verflüchtigt. Vielmehr wurden sie durch die Zwänge der industriellen
Entwicklung ihres Imperiums getrieben und orientierten sich an der Erfahrung
mit westlichen Kooperationspartnern, die die Doktrin vom Klassenfeind Lügen
straften.
Insofern – jetzt bin ich beim Kommentar – dürfen sich diejenigen, die
beharrlich auf Wandel durch Annäherung gesetzt hatten, einen gewissen
Anteil an der Überwindung des Sowjetsystems zugute halten, nicht aber die
Verfechter eines einseitig militanten Auftretens, die die Einkreisungsängste
auf der sowjetischen Seite im Gegenteil immer wieder bestärkt hatten. Die
Rede vom Sieg des Westens im Kalten Krieg ist darum in der Hauptsache
irreführend. Zu registrieren ist hier weder ein militärischer Sieg noch ein
politischer Durchbruch der Westmächte im Osten. Vielmehr haben sich
die Prinzipien der westlichen Zivilisation auch im bisherigen Machtbereich
der Sowjetunion als Programm durchgesetzt. Das ist neben und vor dem
Erfolg westlicher Entspannungspolitik vor allem ein Sieg der sowjetischen
Reformelite, die genügend Mut und Tatkraft besessen hat, ihr Land aus dem
Gewebe von organisiertem Mißtrauen, verkrusteten Dogmen und lähmender
Repression zu befreien, in dem es zu ersticken drohte. Es ist in gleichem Maße
natürlich auch ein Sieg all der Reformer und Revolutionäre in den Ländern
des Sowjetimperiums, die in unsicheren Zeiten viel riskiert haben, um diesen
Prinzipien zum Durchbruch zu verhelfen.
Zwei Elemente eines Siegs des Westens sind in dem Geschehen allerdings
doch auszumachen. Nach der Reagan-Administration ließ sich auch die Bush-
Administration aus Vorsicht und Unkenntnis bemerkenswert viel Zeit, ehe sie
den Reformprozeß in der Sowjetunion dann doch aktiv unterstützte. Hinsicht-
lich der wirtschaftlichen Hilfestellung blieb sie bis zum Schluß weit hinter dem
Möglichen und Sinnvollen zurück. Dann nahmen weder Bush noch Kohl bei
der Durchsetzung der Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zur NATO
auf Gorbatschows innenpolitische Stellung sonderliche Rücksicht. Wieweit
beide Entscheidungen dazu beitrugen, einen geordneteren Übergang von der
Sowjetunion zu den postkommunistischen Gesellschaften zu verhindern, als
wir ihn gegenwärtig erleben, werden erst künftige Analysen der Moskauer
Entscheidungsprozesse vor dem Putschversuch vom August 1991 zeigen.
Aber daß beide Momente beim Scheitern Gorbatschows eine Rolle spielten,
sollte bei aller Einsicht in die moralische und realpolitische Unabdingbarkeit
des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik anerkannt werden. „Die Tatsache,
daß Gorbatschow die NATO-Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands akzep-
tierte“, so erklärte sein kurzzeitiger Außenminister Bessmertnych 1991, „war
eine der meist gehaßten Entwicklungen in der Geschichte der sowjetischen
Außenpolitik, und sie wird es für die nächsten Jahrzehnte auch bleiben.“ Wie
alle großen politischen Entscheidungen, so hatte auch diese – für die Deutschen
und ihre Verbündeten relativ bequeme – Lösung der deutschen Frage ihren
Preis. Ich sage das nicht notwendigerweise als Kritik, wohl aber als Hinweis
auf das Erbe, mit dem wir nun umzugehen haben. Danke (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ihnen beiden herzlichen Dank. Wir steigen
jetzt in die Diskussion ein, und zwar in der Weise, wie ich es vorhin
angedeutet habe. Wir beginnen mit einem kurzen Statement von Herrn
Professor Jacobsen.
Sv. Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen: Herr Vorsitzender! Meine Damen und
Herren! Jeder Wissenschaftler, der vor der Frage steht, sich mit den inter-
nationalen Rahmenbedingungen der Deutschlandpolitik zu befassen, steht vor
fast unüberwindlichen Hindernissen. Die Vielzahl der Bestimmungsfaktoren ist
das eine, die Gewichtung das andere, die Interdependenz, die wechselseitigen
Beziehungen der einzelnen Faktoren ist ein Drittes. Dies alles zusammenge-
nommen führt uns zu großen Schwierigkeiten, ob wir überhaupt in der Lage
sind, in der jeweiligen historischen Situation angemessen herauszuarbeiten,
was was bestimmt hat und warum es so und nicht anders gelaufen ist.