Fehler melden / Feedback
Geschichte, die von mancher Veränderung geprägt war, am Anfang von großer
Sprachlosigkeit und von der Schwierigkeit, damit umzugehen. Mit „damit“
ist die Geschichte vor 1945 gemeint: der Überfall auf Polen, die vierte
Teilung Polens, an der Deutschland und die Sowjetunion beteiligt waren, der
Vernichtungskrieg gegen Polen, die vielen, vielen toten Juden und Polen in
Polen und die Schwierigkeit der Bundesrepublik Deutschland – die DDR hat
diesen Versuch gar nicht gemacht –, mit dieser Geschichte umzugehen, zumal
es in Polen eine kommunistische Regierung gab. Man stand vor der Frage:
Wie kann mit einem kommunistischen Polen Versöhnung gestaltet werden?
Eine andere wesentliche Frage, die natürlich die ganze Zeit auf dem Tisch
lag und die Verhältnisse mit prägte, war die Situation der Deutschen in Polen,
also der Deutschen, die in Polen geblieben waren. Was war damals für diese
besser: das Festhalten an Prinzipien und das Offenhalten der Grenzfrage,
so daß auch eine künftige Geschichte Deutschlands auf dem Gebiet des
ehemaligen und heutigen Polen offenbleiben sollte, d. h. das Offenhalten
nicht nur der deutschen Frage, sondern gleichzeitig auch die Frage der Grenze
zu Polen, oder eine Verständigungspolitik, die versuchte, zumindest für die
Deutschen die Ausreise zu ermöglichen? Woher sollten Veränderung und
Erleichterung auch für die Polen selbst kommen? Das waren Fragen, die wir
heute vormittag in bezug auf die Tschechoslowakei und natürlich die DDR und
den gesamten Ostblock schon diskutiert haben und die uns weiter beschäftigen
werden.
Unser Podium ist so wie heute vormittag zusammengesetzt. Das heißt, wir
haben auf dem Podium selbst keinen Vertreter der neuen Ostpolitik; aber wir
haben diese Vertreter, die dann entsprechende Fragen stellen und Positionen
beziehen können, natürlich in der Enquete-Kommission.
Ich möchte das Podium vorstellen. Zum einen sind Polen da, die in ganz
besonderer Weise das mitgeprägt haben, was für uns alle im Vordergrund
steht, wenn wir an Polen und die Veränderungen denken, die es 1988/1989
gegeben hat und die ein Jahrzehnt vorher in besonderer Weise mit Solidarnosc
begonnen haben. Mit Solidarnosc hatte sich für uns im Osten ein Stück weit die
Welt verändert. Die Charta 77 empfanden wir – wir haben dies heute morgen
sehr eindringlich erfahren – als wichtigen Versuch des Lebens in der Wahrheit.
Das waren real existierende Personen, die sich zusammenschlossen und
miteinander dafür einstanden. Bei Solidarnosc empfanden wir es so, daß sich
plötzlich etwas veränderte, mit den entsprechenden staatlichen Reaktionen. Es
wurde deutlich: Von unten kann Veränderung kommen. Dies war ein Fanal
für uns alle im Osten, das wir neben vielen anderen nicht zuletzt auch denen
verdanken, die hier links – von Ihnen aus gesehen rechts – neben mir sitzen.
Ich stelle Herrn Dr. Artur Hajnicz vor. Er ist Journalist und hat lange bei
„Zycie Warszawy“ gearbeitet, dann, 1981, als Stellvertreter von Mazowecki
bei der Wochenzeitschrift „Tygodnik Solidarnosc“. In der Zeit des Kriegszu-
standes war er für Solidarnosc für die Kontakte nach Deutschland zuständig.
Er hat seit dieser Zeit in einer Gruppe – auch dies ist, glaube ich, etwas Neues
–, die sich mit der Außenpolitik konzeptionell beschäftigte, besonders den Part
vertreten, der sich mit der Politik gegenüber Deutschland beschäftigt hat. Er
war oft in Deutschland und ist jetzt Direktor des Zentrums für internationale
Politik beim Senat und hat für seine Verdienste beim Zustandekommen der
deutsch-polnischen Verträge das Bundesverdienstkreuz erhalten.
Wojciech Wieczorek war lange Mitarbeiter und Redakteur der katholischen
Monatszeitschrift „Wiez“. Ich will dies nicht im einzelnen ausführen. Er hat
hier lange die geistige Diskussion von Solidarnosc mit geprägt. Ende der
80er Jahre war er Chefredakteur dieser Monatszeitschrift. Er hat langjährige
Kontakte zu „Sühnezeichen“, zu Pax Christi und zu anderen Organisationen
in Deutschland gehabt. Er war in der kurzen Zeit der demokratischen DDR
Botschafter Polens in der DDR. Nach der deutschen Vereinigung war er dann
Leiter der Außenstelle der Botschaft. Er lebt jetzt wieder in Warschau als sehr
engagiert beschäftigter Rentner oder Pensionär.
Ganz rechts von mir sitzt Ludwig Mehlhorn. Er ist eines der beiden Mitglieder
der DDR-Opposition, die in ganz besonderer Weise die Kontakte zu Polen
gefördert, bekanntgemacht, weitergetragen und geprägt haben. Der andere
ist Wolfgang Templin, den ich hier mit erwähnen möchte. Beide sprechen
polnisch. Sie haben mit ihrer Verbindung nicht nur ein offenes Bewußtsein
für Polen in der Opposition der DDR geschaffen, sondern auch immer
wieder die Kontakte hergestellt. Ludwig Mehlhorn ist Mathematiker und hat
zu DDR-Zeiten bei der Akademie der Wissenschaften gearbeitet, bis dies
nicht mehr möglich war. Er ist jetzt bei der Evangelischen Akademie von
Berlin-Brandenburg.
Timothy Garton Ash, der rechts neben mir sitzt, brauche ich, denke ich, nicht
noch einmal neu vorzustellen.
Ich freue mich sehr, daß ich außer denen, die hier auf dem Podium sitzen,
den polnischen Botschafter Janusz Reiter begrüßen kann. Er sitzt in der ersten
Reihe. Wir freuen uns sehr, daß er hier bei uns ist (Beifall). Wir haben ihm
angeboten, einige Worte zu sagen. Aber er hat gemeint, er könne nicht während
der ganzen Diskussion dabeisein und wolle lieber zuhörend teilnehmen.
Ich darf dann mit den Gesprächsbeiträgen und Einführungen hier auf dem
Podium beginnen. Wir haben erst gestern abend die Reihenfolge vorbespro-
chen. Die polnischen Gäste werden beginnen. Ich möchte Herrn Wojciech
Wieczorek bitten, seine Einführung vorzutragen.
Wojciech Wieczorek: Sehr geehrte Damen und Herren! Da wir uns un-
ter Zeitdruck befinden, möchte ich nur ganz kurz zu den Ursachen der
Solidarnosc-Revolution Stellung nehmen und einige meines Erachtens grund-
legende Faktoren nennen, die diese Revolution, wenn man so sagen darf,
ermöglicht haben.