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Wahlperiode 12, Band V/1, Seiten 240 und 241
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Protokoll der 48. Sitzung

deshalb als unbestritten, weil wir sicher zu sein glaubten, das „wir“ bezieht
sich jetzt auch wieder auf ehemalige DDR-Bürger, daß die Großmächte ihre
Interessensphären gegeneinander zuverlässig abgesteckt hatten. Alle Konflikte,
die es in den Nachkriegszeiten gegeben hat, fanden ihre Begrenzung durch den
jeweiligen Machtbereich des anderen politischen Blocksystems.

Wir werden heute von berufenen Sachkennern einen Überblick über die ver-
schiedenartigen Konzeptionen vermittelt bekommen, die in der Bundesrepu-
blik Deutschland damals im Blick auf die Zukunft des geteilten Deutschlands
entwickelt wurden. Dabei wird auch die Frage eine Rolle spielen müssen,
wie man mit der politischen Verpflichtung des Grundgesetzes umgegangen
ist. In der Präambel des Grundgesetzes von 1949 heißt es ja bekanntlich:
„Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung
die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“

Wir werden auch etwas von der Einstellung der Sowjetunion gegenüber
der deutschen Frage in den ersten Nachkriegsjahren hören. Noch immer
wird darüber gestritten, ob Stalin zu einer bestimmten Zeit tatsächlich bereit
gewesen sein könnte, der Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen.

Ich danke denen, die uns heute genauer informieren wollen, für Ihre
notwendige Aufklärungsarbeit. Noch immer wuchern ja manche Legenden,
durch die wir zum Kern der historischen Wahrheit durchstoßen müssen, wenn
wir unsere Vergangenheit im geteilten Deutschland aufarbeiten wollen.

In der Hoffnung, daß uns dies heute ein Stück gelingt und wir auf unserem Weg
ein Stück weiter kommen, möchte ich den ersten Vortragenden bitten, nach
vorn zu kommen, und zwar Herrn Professor Dr. Horst Möller, den Direktor
des Instituts für Zeitgeschichte in München.

Prof. Dr. Horst Möller: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren Ab-
geordneten, meine Damen und Herren! Wir wissen durch die Zugänglichkeit
vieler Quellen sehr viel über die Motive der beteiligten Politiker, Parteien
und Gruppierungen an der Deutschlandpolitik der 1950er und 1960er Jahre.
Viele der zentralen Quellenbestände sind veröffentlicht, beispielsweise in der
großen Adenauerausgabe aus Rhöndorf, in den Veröffentlichungen der Frakti-
onsprotokolle von FDP und SPD bei der Bonner Kommission für Geschichte
des Parlamentarismus und der politischen Parteien, durch die Veröffentlichung
der Kabinettsprotokolle der Bundesregierung für die Zeit zu Beginn der 1950er
Jahre und andere Veröffentlichungen. Sie werden von mir nun nicht erwarten,
daß ich in ungefähr einer halben Stunde auf die zahlreichen Einzelheiten, die
wir jetzt durch die Veröffentlichungen genauer wissen, eingehe oder auch
im einzelnen eingehe auf die zugänglichen Akten zur auswärtigen Politik
der beteiligten Westmächte; die der damaligen Sowjetunion liegen in dieser
Form, wie es für die Westmächte gilt, bisher immer noch nicht vor. Auf der
anderen Seite gibt es auch hier inzwischen einzelne Erfolge in der Erforschung
wesentlicher Grundprobleme. Auf ein Beispiel gehe ich nachher noch ein. Es

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Deutschlandpolitik 1949–60er Jahre

geht mir im folgenden im wesentlichen darum, die Grundlinien der Deutsch-
landpolitik in den 1950er Jahren bis zu Beginn der 1960er Jahre darzustellen,
weil ich meine, daß manche der Streitfragen, auch die, die der Vorsitzende
eben erwähnt hat über das Jahr 1952, sich allein schon durch eine angemessene
Berücksichtigung der grundlegenden historischen Voraussetzungen zumindest
relativieren, wenn nicht erledigen.

Zwei Faktoren, meine Damen und Herren, die Aufteilung Deutschlands und
der weltpolitische Gegensatz zwischen den USA und ihren Alliierten auf
der einen und der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten auf der anderen
Seite, wurden zu Determinanten jeglicher Deutschlandpolitik nach 1945. Die
Möglichkeiten für eine Beteiligung deutscher Stellen an der Entwicklung der
deutschen Frage nach 1945 oder auch an außenpolitischen Entscheidungs-
prozeßen insgesamt resultierten aus der Entwicklung dieses Dualismus von
West und Ost seit Kriegsende, das heißt, diese Möglichkeiten setzten die
Teilung Deutschlands faktisch voraus, da sie als einzige Gemeinsamkeit der
ehemaligen Anti-Hitler-Koalition übriggeblieben war: In den Überlegungen
der Westalliierten und der Sowjetunion galt für lange Zeit die deutsche Teilung
als Unterpfand für die Sicherheit vor einem soeben besiegten aggressiven
deutschen Nationalismus.

Wir müssen also davon ausgehen, daß nach 1945, so unklar viele alliierte
Konzeptionen und so uneinheitlich sie auch waren, zunächst einmal keinerlei
Interesse, weder in West noch in Ost, daran bestand, einen deutschen Na-
tionalstaat in dieser Form schnell zu reorganisieren, wie er bis 1945 oder
auch bis 1933, um ein Datum vor der NS-Herrschaft zu nehmen, bestanden
hatte. Und welche Wirkungen das in der politischen Mentalität hatte, das
sehen Sie ja bis heute, etwa in der Veröffentlichung der Thatcher-Memoiren,
daß also die Bereitschaft auch auf westlicher Seite, hier zu einer konstruktiven
Deutschlandpolitik beizutragen, ja bis in unsere Tage hinein nicht überall
gleichermaßen gut entwickelt war. Auch die Initiativen des französischen
Staatspräsidenten Mitterrand waren in der Wiedervereinigungsphase ja zu-
mindest mißverständlich.

Damals, nach 1945, trat ein wesentliches mentales Element hinzu: Ganz anders
als nach dem Ersten Weltkrieg näherten sich die Wünsche der Westdeutschen
relativ schnell den politischen Wertvorstellungen der westlichen Welt an.
Und in diesem Sinne muß man die Deutschlandpolitik immer in engem
Konnex zur Westintegration der Bundesrepublik Deutschland in die westliche
Wertegemeinschaft, ich meine das zunächst einmal in einem politischen Sinn,
bevor ich es in einem militärischen Sinn meine, berücksichtigen. Insofern
ist die Westintegration der Bundesrepublik ein sehr viel komplizierterer
Prozeß gewesen, als es in vielen vordergründigen Diskussionen erscheint, die
immer nur auf die Frage der militärischen Integration, der EVG-Verträge oder
der NATO konzentriert sind. Es handelt sich vielmehr um einen vielschichtigen