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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 52 und 53
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Protokoll der 56. Sitzung

heiten auf das Darmstädter Wort bezogen, unter ihnen auch Theologen und
Pfarrer, die den Aufbau des Sozialismus in der DDR einschränkungslos befür-
worteten und sich so zu Helfershelfern der SED-Kirchenpolitik entwickelten.
In kirchenamtlichen Äußerungen wurde – und das bis zum Schluß – weitaus
häufiger die Stuttgarter Erklärung zitiert, und das auch dann, als sich der Bund
der Evangelischen Kirchen auf den Lernweg einer Kirche im Sozialismus
gewiesen sah. Für die Bejahung des staatspolitischen Grundziels der DDR,
dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, bot freilich das Darmstädter
Wort legitimierende Aussagen, auf die häufig hingewiesen wurde. Abschnitt 5
spielte hier eine herausragende Rolle:

„Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, daß der ökonomische
Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die
Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen
im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der
Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem
Reich zur Sache der Christenheit zu machen.“

Neben dieser These, die als Ermutigung zu einem neuen Dialog und zur
Kooperation zwischen Christen und Marxisten gelesen werden konnte, war
es vor allem die erklärte Absage an die Schwarzweißzeichnung des Ost-West-
Gegensatzes, die das Darmstädter Wort anziehend machte. Obwohl es den
Antikommunismus nicht explizit verwarf, mußte es von seinem Gesamtduktus
her als Absage an den Geist des Antikommunismus verstanden werden.
Man würde die äußerst differenzierte Sachlage schablonisieren, wenn man
eine direkte Linie vom Darmstädter Wort zur Programmformel „Kirche im
Sozialismus“ zöge. Das Darmstädter Wort ist ein wichtiges Dokument der
kritischen Selbstbesinnung des Nachkriegsprotestantismus, auch wenn man
Gründe genug findet und schon damals finden mußte, die gewählte Form
und das Gefälle der Argumentation zu problematisieren. Die Autoren von
Darmstadt haben keinen Zweifel daran gelassen, daß die SED-Diktatur ihren
Vorstellungen von einem künftigen deutschen Staatswesen widersprach, „...
das dem Recht der Wohlfahrt und dem inneren Frieden und der Versöhnung der
Völker dient“. Andererseits haben sie und ihre Sympathisanten die Verhältnisse
hinter dem eisernen Vorhang in ihrer komplexen Tragik häufig relativiert. Die
Absage an den Geist des Antikommunismus hatte Denkverbote zur Folge, die
es langfristig verhinderten, die Lage im Osten Europas in der Perspektive der
Opfer des Kommunismus wahrzunehmen. Die in den intellektuellen Eliten des
Westens insgesamt verbreitete Mentalität eines „Anti-Antikommunismus“ fand
in den evangelischen Kirchen vielfältig Widerhall und hat hier die gebotene
Realitätswahrnehmung nachhaltig getrübt. Dem korrespondierte allerdings
eine weitreichende Wahrnehmungstrübung auf seiten derer, die es immer schon
besser wußten und aus dem Ost-West-Konflikt ebenfalls eine ungebrochene
Selbstaufwertung der eigenen politischen Präferenzen ableiteten. Auch hier

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

gibt es interessante wechselseitige Stabilisierungen. Auf diese Weise ist die
Schuldfrage vielfältig instrumentalisiert worden. Statt der Selbstprüfung zu
dienen, wurde sie meist entweder als Instrument der Selbstlegitimierung
gehandhabt oder aber als Waffe der Delegitimierung abweichender politischer
Positionen mißbraucht. Mit anderen Worten – und dabei bin ich beim
Heute -: Der Ost-West-Konflikt ist der Aufarbeitung unserer deutschen
Schuldgeschichte schlecht bekommen und hat zu Schädigungen der politischen
Orientierungsfähigkeit geführt, die zu durchschauen wir noch viel Zeit und
Geduld benötigen werden – in beiden Teilen des vereinigten Deutschlands.
Ich danke Ihnen und bitte um Nachsicht für diesen Schlußsatz. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich bitte, jetzt die Fragen zu stellen und
darum, deutlich zu machen, an welchen der beiden Referenten diese Frage
gestellt werden soll. Ich werde danach beide bitten, darauf zu antworten. Es
beginnt der Kollege Meckel.

Abg. Meckel (SPD): Meine erste Frage richtet sich an Herrn Hamel. Sie sind
u. a. bekannt als ein Gegner der Bemühungen zur Gründung des Bundes der
Evangelischen Kirchen. Ich würde darum bitten, daß Sie noch einmal kurz
Ihre damaligen Argumente darstellen, mit denen Sie gegen die Gründung
des Bundes votiert hatten, und diese kurz angesichts der zwanzigjährigen
Geschichte des Bundes reflektieren. Ich weiß nicht, ob das kurz geht, aber ich
wäre für einige Bemerkungen in dieser Richtung dankbar. Ich würde eigentlich
die umgekehrte Frage an Werner Krusche stellen wollen, vielleicht kann er
heute abend in der Diskussion dazu etwas sagen.

Die zweite Frage richtet sich an Herrn Prof. Beintker. Sie haben sehr
interessant über die inneren Reflexionen der Schuldfrage in bezug auf die
Zeit des Nationalsozialismus in Ost und West referiert. Welche Konsequenzen
könnte dies haben oder welche Folgerungen könnte man ziehen für eine in
den östlichen Kirchen stattfindende Diskussion, ob ein Schuldbekenntnis über
die 40 Jahre Kirche in der DDR nötig ist?

Vorsitzender Eppelmann: Frau Dr. Wilms bitte.

Abg. Frau Dr. Wilms (CDU/CSU): Ich glaube, meine Frage geht mehr
an Herrn Beintker, vielleicht auch an beide Herren. Sie haben, auch in dem
Referat von Herrn Jüngel, viel von der Barmer Erklärung, dem Stuttgarter
Schuldbekenntnis und dem Darmstädter Wort gesprochen. Was mich bewegt,
ist, warum nach den Erfahrungen mit der NS-Zeit, mit der NS-Diktatur, nicht
doch deutlichere Worte gegen die zweite Diktatur in Deutschland gefunden
worden sind, als man sie gefunden hat. Das ist für mich eine Frage, auf
die ich bisher keine Antwort weiß. Damit wir uns jetzt recht verstehen:
Da ich aus dem Westen bin, möchte ich betonen: Ich sitze nicht auf dem
hohen Roß und möchte hier nicht als Pharisäer gelten, denn ich weiß nicht,
wie wir uns alle verhalten hätten, wenn uns in der Altbundesrepublik eine
neue Diktatur beschert worden wäre. Ich sage das gleich hinzu, damit die