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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 148 und 149
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Protokoll der 56. Sitzung

Schlüsselszenen, in denen die EKD seitens des DDR-Kirchenbundes mehr
oder weniger deutlich als Parteigängerin des westlichen Systems angesprochen
und zum Umdenken aufgefordert wurde. Es ist richtig, Bischof Leich,
daß keiner öffentlich von einer Kirche im Kapitalismus geredet hat, aber
in diesen Schlüsselszenen haben Repräsentanten des Kirchenbundes die
Westkirche gemahnt, sich nicht von der Bundesregierung vereinnahmen zu
lassen. Umgekehrt ist interessant, darauf hat Frau Schmoll schon hingewiesen,
daß in internen Gesprächen, etwa in der sog. Konsultationsgruppe, also
in einer kleinen Gruppe besetzt mit kirchenleitenden Persönlichkeiten aus
dem Kirchenbund und der EKD, sehr wohl auch von seiten westlicher
kirchenleitender Persönlichkeiten das gesagt worden ist, was vielleicht Sie
hätte zum Nachdenken veranlassen können. Beispielsweise sagte Bischof
Binder (Bonn) 1983 – ich zitiere aus dem kirchlichen Protokoll: „Einseitige
Äußerungen aus dem Bereich der Kirchen in der DDR könnten dazu führen,
daß der Verdacht unter den Menschen in der Bundesrepublik nicht mehr
abzuwehren ist, daß in der DDR eine gleichgeschaltete Kirche existiert.“
Es gab bestimmte Themen, bei denen im Westen der Eindruck entstand,
daß die Kirche in der DDR mehr ist als nur die Kirche in der DDR, sondern
eine Kirche im Sozialismus, die in der Tat eine sehr viel größere Nähe zu
dem System aufwies, als sie vielleicht deutlich sagte. Im Zusammenhang
mit der Friedensfrage etwa hat es verschiedene Kontroversen gegeben.
Wie aus den kirchlichen Protokollen hervorgeht und wie mir westliche
kirchenleitende Persönlichkeiten aus dem internen Kreis bestätigt haben,
wurden die offenkundigen Differenzen der Voten zwischen den westlichen
und östlichen Teilnehmern auf die Verschiedenheiten in den gesellschaftlichen
Verhältnissen zurückgeführt. Auch die kirchlichen Berichte, die auf westlicher
Seite über Vorträge östlicher kirchenleitender Mitglieder mit ausdrücklichen
Stoßseufzern dann nach Bonn weitergegeben wurden, sprechen Bände. Es
war also durchaus so, daß aus der Perspektive der EKD, vor allem derjenigen
Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise mit der DDR-Kirche befaßten,
und zwar bei inhaltlichen Fragen – es führt ja zu nichts, daß wir uns um die
bloße Formel Kirche im Sozialismus streiten – immer und immer wieder der
Eindruck entstand, hier habe eine Annäherung an das Regime stattgefunden,
die zu einer ganz charakteristisch anderern Sichtweise führte, als das im
Westen der Fall war.

Gesprächsleiter Superintendent Martin-Michael Passauer: Vielen Dank.
Bruder Schröder, Sie haben auf der EKD-Synode in Suhl 1992 unter dem
Stichwort „Diktatur des Proletariats“, „Diktatur des Politbüros“, die Diktatur
mit Geiselnehmern und Geiseln verglichen. Sie haben das Bild gebraucht und
gesagt: „Eine Diktatur ist zu vergleichen mit Geiselnehmern und mit Geiseln.
Und da gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten, sich halbwegs anständig
zu verhalten. Entweder man gibt sich still oder man übergibt sich ganz den

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

Geiselnehmern, also man paßt sich an, oder man versucht, indem man mit
Geiselnehmern Kontakt aufnimmt und auf freundliche Weise versucht, mit
ihnen zu reden, dann doch noch etwas für sich und für andere zu erreichen.“
Wie würden Sie, nach dem, was Sie jetzt wissen und gehört haben und auch
nach dem, was wir heute diskutiert haben, die Formel „Kirche im Sozialismus“
in dieses Schema einordnen?

Prof. Dr. Richard Schröder: Ich stimme denen zu, die sagen, sie sei
spezifisch unklar gewesen. Das sage ich auch nicht erst hinterher, sondern
das habe ich 1988 auch in Westberlin drucken lassen. Sie ist spezifisch unklar
gewesen. Sie ist nie dazu geeignet gewesen, das zu sein, was sie für manche
sein sollte: Eine echte Ortsbestimmung. Sie ist zweifellos eine Aufnahme der
Sprache der Genossen. Das kann man vor allen Dingen, finde ich, an diesem
eigentümlichen Gebrauch des Wortes Sozialismus nachweisen. Dieses hier
schon zitierte Wort von Seigewasser stammt nämlich noch aus der Zeit, wo
das Wort Sozialismus – man hat ja sozusagen die sozialistische Staatlichkeit
noch nicht so sehr hochgehängt – zunächst ein Name für die Gesellschaft in
ihrem Status quo, für den Staat DDR, für das sozialistische Weltlager und
irgendwie auch noch für die Weltanschauung war. Das Ja, das Seigewasser da
von der „Kirche im Sozialismus“ erwartet, ist konkret, wenn man den Text
genauer nachliest, die Akzeptanz der Zweistaatlichkeit. Es ist zweifellos ein
Entgegenkommen gegenüber dem Staat, eine Übernahme von Terminologie,
die nicht auf theologischem und auch nicht innerkirchlichem Boden gewachsen
ist. Das ist in meinen Augen ganz selbstverständlich. Die Formel hat sich
aber gerade in diesem Charakter um den Preis der Klarheit auf die Sprache
der anderen Seite eingelassen. Die Formel ist in dieser Hinsicht aber nicht
geeignet, zu beschreiben, wie in der Kirche mehrheitlich gedacht worden
ist. Mir ist jetzt erst wieder ein Papier in die Hände gefallen, das, glaube
ich, für unsere Frage: Wie ist denn nun „Kirche im Sozialismus“ konkret
gedacht worden, aufschlußreich ist. Eine Synode des Bundes hat Anfang
der siebziger Jahre dem Ausschuß Kirche und Gesellschaft zwei Fragen
gestellt. Die erste Frage hieß, wie sich Zeugnis und Dienst der evangelischen
Kirche in einer sozialistischen Gesellschaft vollziehen müßten. Und die
andere Frage lautete, wie sich die christliche Botschaft des Evangeliums
zur Ideologie, speziell zur marxistisch-leninistischen Ideologie verhalte. Dazu
sind dann von dem Ausschuß zwei Ausarbeitungen gemacht worden, die,
muß ich nun sagen, fatalerweise nie veröffentlicht worden sind, sondern
am 12./13. Januar 1973 von der Konferenz der Kirchenleitung zur Kenntnis
genommen und freigegeben wurden für die Diskussion von Gremien und
Einzelpersönlichkeiten, die sich mit diesen Fragen beschäftigen wollen. Der
letzte Satz des Vorspruchs lautet: „Eine Veröffentlichung, auch auszugsweise,
ist nicht gestattet.“ Ich will einmal ausdrücklich auf diese Papiere hinweisen,
weil sie den ersten Versuch eines synodalen Gremiums dokumentieren,