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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 150 und 151
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Protokoll der 56. Sitzung

die Situation, die durch die Konstitution des Bundes entstanden ist, zu
thematisieren. Was heißt das konkret: Wir sind „Kirche in der DDR“? Ich
will kurz sagen, diese beiden Papiere sind sehr kritisch. Das dürfte dann auch
der Grund sein, was ich nicht gutheißen kann, daß sie nie veröffentlicht worden
sind. Die Formel war so etwas wie ein Plakat nach außen, und wir haben nun
außerdem noch die Papiere, in denen das steht, was mehrheitlich – jedenfalls
in diesem Ausschuß – zum Thema gedacht worden ist, auf dem Tisch liegen
und haben mit dem Problem zu tun, daß offenbar die Kirche nicht stark genug
war, das wieder zusammenzubringen.

Noch ein Detail zu dem Status dieses Papiers. Mir ist erzählt worden, man
habe es dann der Synode des Bundes vorgelegt, habe aber große Angst
gehabt, daß die anwesenden Staatsvertreter es in die Hand bekämen, weshalb
jeder Synodale es in einem geschlossenen Umschlag auf den Tisch gelegt
bekommen habe. Es ist den Synodalen bekannt gemacht worden, aber man
hat nicht einmal den Mut gehabt zu einer nicht dirigierten innerkirchlichen
Öffentlichkeit. Obwohl, wenn das Papier eine größere Verbreitung gefunden
hätte, wir sehr viel mehr von den Klärungsprozessen hätten durchlaufen
können, die nötig gewesen sind und die, das muß ich nun auch noch sagen, in
bestimmten Räumen der evangelischen Kirche auch immer betrieben worden
sind, namentlich an den Kirchlichen Hochschulen, auch an den Evangelischen
Akademien zum Teil. Der langen Rede kurzer Sinn: Wir haben mit dieser
Formel einen Preis der Unklarheit geliefert, den wir lieber nicht hätten zahlen
sollen. Ich habe immer die Meinung vertreten, mit „Kirche in der DDR“ wären
wir viel besser gefahren. Aber die Behauptung, daß dieser Name nun für das
stehen könne, was in der Kirche mehrheitlich gedacht und gesagt worden
ist, diese Behauptung, die dann manchmal, wenn es auf Schlagzeilenniveau
kommt, in die Welt gesetzt wird, der kann man getrost widersprechen. Dazu
sind nun diese beiden Dokumente auch ganz hilfreich.

Gesprächsleiter Superintendent Martin-Michael Passauer: Bruder Kru-
sche, Sie gehörten zu den Architekten oder zumindest zu denjenigen, die bei
der Gründung des Bundes mit dabeigewesen sind. Sie galten und gelten bei
vielen unter uns als ein sehr integerer Mann, der die Klarheit in der Sprache
gewählt hat, und Sie haben in diesem schon von mir vorher erwähnten Vortrag
1991 den Satz gesagt: „Kirche im Sozialismus war ein Weg, der erst im Gehen
zum Weg geworden ist.“ Das heißt, zu Beginn dieses Weges und zu Beginn
des Begriffes ist offensichtlich Ihnen und anderen der Weg, den Sie zu gehen
hatten, noch nicht deutlich genug gewesen. Ob Sie uns ein bißchen von diesen
Erfahrungen, die Sie gemacht haben, erzählen?

Bischof i.R. Dr. Werner Krusche: Ich kann kein Heldenepos erzählen. Ich
würde vielleicht unter die Anpasser gezählt. Ich gestehe, ich hatte einige Mühe,
heute bei manchem zuzuhören, aber nun habe ich bis zum Schluß warten
müssen. Es war eine ziemliche Strapaze für mich. Der Weg im Sozialismus

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

war natürlich längst zu gehen, ehe es die Formel gab. Das möchte ich erst
einmal sagen. Wir waren „Kirche im Sozialismus“ nicht erst, seit es die Formel
gegeben hat, sondern wir waren „Kirche im Sozialismus“ selbstverständlich
seit Gründung der DDR. Natürlich hatten sich schon Wegerfahrungen gezeigt,
die man gemacht hat. Ich gehöre ja zu den seltenen Exemplaren, die aus der
Bundesrepublik 1954 in die DDR eingewandert sind. Ich war Assistent an der
Universität in Heidelberg und bin hier hinübergegangen mit Frau und einem
eineinhalb Jahre alten Kind, nicht, weil die DDR so schön war, sondern weil
der Bischof rief, und damals hörte man noch auf Bischöfe. (Heiterkeit)

Ich kam nach Dresden, weil ich mir sagte: Ein Pfarrer, der das Wort
Jesu zu verkündigen hat: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und
seiner Gerechtigkeit“, kann nicht am ehesten danach trachten, wo es ihm
am besten geht. Wir sind in die DDR gegangen. Damals gab es noch
keine Ostzuschläge. (Heiterkeit) Und keine Prämienzusagen für die Karriere,
sondern wir mußten unseren Umzug selbst bezahlen. Das muß ich sagen:
ich bin als ausgesprochener Antikommunist in die DDR gegangen. Ich hatte
das Bild der DDR, wie es hier in der Bundesrepublik, in der Presse usw.
da war, und ging trotz dieses Bildes hinüber. Das war eine Entscheidung
aus Glaubensgehorsam. Die entscheidenste Entscheidung meines Lebens. Es
wäre sonst das Leben sehr anders gegangen. Die erste Erfahrung auf diesem
Weg in Dresden war 1954 die Einführung der Jugendweihe. Ich weiß noch,
wie Bischof Noth alle 1.200 sächsischen Pfarrer nach Dresden einlud und
fragte, ob wir das wollten: Entweder – oder. Entweder Jugendweihe oder
Konfirmation. Und sie haben alle gesagt: Jawohl, entweder – oder. Nur einer,
ein Halbjude, rief in die Kirche, ich höre es heute noch: „Seid barmherzig.“
Er wußte, was da folgen würde. Ich bin dann noch vier Jahre in Dresden
Pfarrer gewesen und habe den Kampf miterlebt. Die Erfahrung, daß zwar ein
kleiner Teil sehr tapfer geblieben ist und dieses Entweder-Oder angenommen
hat, daß aber im Verlauf von fünf Jahren die Konfirmation kaputt war und
90 oder 95 Prozent aller Schulabgänger dann an der Jugendweihe teilnahmen,
war eine so schockierende Erfahrung, die sich für meine Generation in einer
so lähmenden Weise ausgewirkt hat. Wir waren der Meinung: hier hat die
Kirche einmal gestanden. Hier hat sie vor das Entweder-Oder gestellt, und die
Gemeinden haben sie im Stich gelassen, sie sind nicht gefolgt. Wir standen
als die Blamierten da. Wir mußten einen Schritt um den anderen zurückgehen.
Ich weiß noch, wie manche unserer Pfarrer damals von denen, die dann
zur Konfirmation gehen wollten, nachdem sie jugendgeweiht worden waren,
verlangten, daß sie die Urkunde öffentlich verbrannten. Das hat es gegeben.
Dann mußten wir Schritt um Schritt zurückgehen, so daß immer, jedenfalls
dann, als ich in der Leitung der Kirchen war, die Frage kam: Können wir das
eigentlich den Gemeinden zumuten? Gehen sie mit oder nicht? Sie haben uns
spürbar im Stich gelassen. Von daher hat jedenfalls für die Entscheidung in