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diesen Fragen gegenüber den Seilschaften hat jedenfalls – meiner Meinung
nach – nicht ausgereicht.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Ich danke Ihnen, obwohl es mir schwer-
fällt, Ihnen zu danken. Denn das, was man hier hört, ist ja jetzt ganz dicht
dran. Das, was uns von heute früh an beschäftigt hat, war ja noch, wenn Sie so
wollen, so ein bißchen systematische Distanz. Aber dies ist ja eine Aufzählung
von Grusel- und Horrornachrichten. Lassen Sie mich noch eine Empfindung
loswerden. Mich wundert, daß hier an einer Stelle ein Herr, den ich gut
verstehen kann, zweimal geklatscht hat, offensichtlich darüber, daß das, was
hier gesagt worden ist, gesagt wurde. Aber wir haben über Dinge geklatscht,
wo man im Grunde wahnsinnig werden kann. Also das ist doch kein Grund
zum Klatschen. Da kann man sauer werden, wütend werden, protestieren oder
was auch immer. Die nächste – ich vermute und befürchte, daß das wieder
ins Gruselkabinett führen wird – ist Frau Edelgard Jeske aus Berlin.
(Die Sitzungsleitung übernimmt Frau Abg. Michalk, CDU/CSU.)
Edelgard Jeske: Meine Damen und Herren! Alles, worüber heute und hier
diskutiert und referiert worden ist, war eigentlich zum Zeitpunkt der Wende
schon erkennbar und eigentlich vorprogrammiert. Ich möchte mich kurz
vorstellen. Ich arbeite in einer Gruppe von Praktikern, die sich in der Zeit der
Wende zusammengefunden hatte, um den Prozeß der Umwandlung von der
Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zu begleiten und Vorschläge zu erarbeiten.
Im Laufe der Zeit wurde dieses Thema aber immer mehr zurückgedrängt, und
das Thema „Seilschaften“ stand bei uns auf der Tagesordnung. Zum Komplex
„Seilschaften“ generell möchte ich sagen: Es ging uns bei unserer Arbeit
nicht so sehr um den spektakulären Einzelfall, sondern wir wollten wissen:
Handelt es sich um organisiertes Arbeiten? Wir wollten auf dieser Strecke
feststellen, wie der Stand ist, diese Dinge bündeln, dann an die entsprechenden
Verantwortlichen herantragen und sie zu Reaktionen auffordern.
Zum Thema „Seilschaften“ möchte ich noch vorausschicken: Jeder weiß,
daß die SED eine Kaderpartei war; über die Nomenklatur realisierte sie ihren
Führungsanspruch. Das muß man also alles so ein bißchen im Kopf haben,
um diese Thematik der Seilschaften einordnen zu können. Und im Ergebnis
des Ausleseprozesses, der sich ja in 40 Jahren in der DDR abgespielt hat
und wo auch die Überprüfung jedes einzelnen Kaders, der eine Funktion
einnahm, über das MfS erfolgte, war gewährleistet, daß nur solche Kader in
die Funktionen kamen, die stromlinienförmig die Parteipolitik durchsetzten,
die kompromißlos, wie immer so schön gesagt wurde, die Beschlüsse von
Partei und Regierung in ihrem Verantwortungsbereich umsetzten. Diese Leute
waren natürlich wunderbar angepaßt. Und mein Vorredner hat es ja sehr schön
gesagt, sie waren auch wunderbar handhabbar im Prozeß der Umwandlung.
Wie gesagt, in diesem Ausleseprozeß ergab sich eine Funktionärskaste, die
alle Prozesse, alle Positionen besetzte. Anhand der Stasiliste, die in Halle
aufgetaucht ist, haben wir festgestellt, im Vergleich mit den Geschäftsführern,
die in den Betrieben saßen, daß die Namen immer irgendwie ähnlich waren.
Das waren also richtige Familienclans, die in diesem Falle in Halle das
gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische Leben beherrschten. Natürlich
wurden wir jetzt mißtrauisch, nachdem wir soviele Einzelinformationen hatten,
und wollten wissen, läuft das flächendeckend überall gleich. Aus diesem
Grunde haben wir eine Anfrage gestartet, die DDR-weit war. Und aufgrund
der Hinweise, die wir aus diesen Bereichen bekamen – wir hatten also aus
35 Betrieben hier in Berlin Zuschriften und aus mehr als 60 Betrieben aus
dem Dresdner Raum –, konnte man feststellen, hier läuft alles DDR-weit
zeitgleich und nach gleichem Strickmuster. Es änderte sich ein bißchen,
aber im Prinzip war immer das gleiche Schema erkennbar. Das war für uns
natürlich sehr frappierend, denn eigentlich hatten wir gedacht, nachdem die
Wende kam, hatten die Funktionäre ja keine Legitimation mehr, nachdem
der Führungsanspruch der SED aus der Verfassung der DDR gestrichen war,
hatten sie ja keine Berechtigung mehr, auf ihren Posten zu sitzen, denn
sie hatten ja ihre Posten nur dem SED-Buch oder der Kaderpolitik der
Partei zu verdanken. Das war für uns eigentlich Anlaß, an den „Runden
Tisch“ zu gehen, aber es war sehr schwierig, mit unserem Vorschlag Gehör
zu finden, der ganz konkret lautete, daß man mit den Manipulationen, die
schon auch überall stattfanden und erkennbar waren, Schluß machen sollte,
daß alle Leiter der mittleren und höheren Ebene sich einem Vertrauensvotum
stellen sollten, daß die Kaderleiter, die vorher Parteisekretäre waren und jetzt
überall Kaderleiter wurden, abberufen werden sollten mit sofortiger Wirkung
und daß die Vernichtung und die Bereinigung der Akten, die überall zu
beobachten war – zeitgleich immer komischerweise zu gleichen Zeitpunkten –,
gestoppt werden sollte. Wir haben Anstrengungen gemacht, um über das
Berliner Konsistorialamt an den „Runden Tisch“ zu kommen. Es wurde
verhindert, gemauert, bis zum letzten Tag. Es ist dann nur gelungen, weil
wir uns direkt an ein Mitglied des „Runden Tisches“ gewandt haben und man
diese Sache nicht mehr verhindern konnte, weil er nachfragte, so daß unser
Beschlußvorschlag an den „Runden Tisch“ kam, und natürlich hat er auch die
Zustimmung der Versammelten gefunden, ausgenommen die PDS, logisch.
Doch dieser Beschluß, der dort gefaßt worden ist, daß man also das so
umsetzen sollte, wurde weder von der Modrow-Regierung, die ja noch im Amt
war, noch von der de Maizière-Regierung umgesetzt. Auf Druck von einigen
Belegschaften, denn diese Manipulationen liefen ja überall gleich, wurden
durch den damaligen Wirtschaftsminister, Herrn Dr. Pohl, einige zögerliche
Scheinaktivitäten eingeleitet. Aber bevor die griffen, mußte er seinen Hut
nehmen, weil er mit Stasi-Kontakten sehr belastet war.
Es blieb also alles, wie es war, und das Gesetz zur Umwandlung der VEB in
Kapitalgesellschaften öffnete nun endlich allen Begehrlichkeiten Tür und Tor.