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den politischen Befehlsgeber wohl nicht mehr vor Gericht gestellt werden.
Daß Mielke sich lediglich wegen Mordes von 1932 verantworten muß, nährt
den Eindruck, daß die Instrumentarien des Rechtsstaates nicht ausreichen.
Wenn dies nicht so sein sollte, muß das in der Öffentlichkeit auch überzeugend
bewiesen werden. Wenn es aber so ist, wenn hier schon die Grenzen
rechtsstaatlicher Strafjustiz liegen sollten, ist auch dies kenntlich zu machen.
Im ostdeutschen Verständnis sind nach meinem Eindruck Möglichkeiten und
Grenzen durchaus unklar.
Ich möchte aus meiner Sicht noch zwei Strafbarkeitslücken benennen, die
sich aus dem Verbot rückwirkender Strafbegründung ergeben. Das eine betrifft
das Problem, den Straftatbestand der Rechtsbeugung anzuwenden angesichts
der willkürlichen Dehnbarkeit und breiten Auslegbarkeit der Gesetze im
politischen Strafrecht der DDR.
Der § 99, der zu meiner Inhaftierung angewandt wurde, lautet auf landesver-
räterische Nachrichtenübermittlung. Die Nachrichten waren nicht geheim, im
Gegensatz zur Spionage, wurden an Vertreter einer fremden Macht übermittelt
– das hätte meine polnische Großmutter sein können – und mußten geeignet
sein, der DDR zu schaden. Was aber genau unter welchen Umständen schadet
und inwiefern, das zu beurteilen oblag dem Staatsanwalt, schließlich dem
Richter, in Wirklichkeit aber war es eine politische Entscheidung.
Gegen meinen Staatsanwalt läuft ein Verfahren wegen Rechtsbeugung. Ich
frage Sie: Was soll dieses Verfahren? Alles mögliche kann man ihm vermutlich
anlasten, aber er hatte es doch wirklich nicht nötig, dieses Gummigesetz zu
beugen!
Die zweite Lücke sehe ich darin, daß einige Straftatbestände im DDR-
Strafrecht gar nicht erfaßt waren. Es gab kein Gesetz, das Lauschangriffe
verbot. Das ganze MfS-Instrumentarium zur Zersetzung von Persönlichkeiten
ist nach DDR-Recht nicht strafbar. Selbst Waffenhandel kommt meines
Erachtens – man möge mich berichtigen, wenn es anders ist – im DDR-
Strafgesetzbuch nicht vor.
Das führt mich wieder auf meine eingangs geäußerten Zweifel zurück, ob
es dem Rechtsstaat gut ansteht, sich die Grenzen der Strafbarkeit von einer
Diktatur diktieren zu lassen. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank. Ich glaube, an der
Unterschiedlichkeit der Redebeiträge wird deutlich, wie gut es ist, daß hier
Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und ganz unterschiedlichen
Berufsgruppen zu diesem Thema etwas sagen.
Peter Jochen Winters, bitte.
Dr. Peter Jochen Winters: Ich habe den Eindruck, daß ich hier ein bißchen
aus dem Rahmen falle; denn ich bin weder Jurist noch ein Opfer der DDR-
Justiz oder ein Dissident in der DDR gewesen, sondern lediglich von 1977
an akkreditierter Korrespondent für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in
der DDR, und zwar bis zu deren seligem oder unseligem Ende. Als Journalist
arbeite ich seit 1960. Seit 1972 bin ich Redakteur der „FAZ“ in Berlin.
Ich habe mich auf diese Anhörung hier nicht ordentlich vorbereiten können,
weil ich die letzten 14 Tage auf einer Studienreise in der Mongolei war
und dieser Fragebogen mich also erst gestern bei meiner Rückkehr erreichte.
Ich wußte aber, daß ich hier auftreten sollte, und habe deswegen die
Gelegenheit genutzt, mich in der fernen Mongolei zu erkundigen, die
ja 1989 durch eine Demokratiebewegung, die dort auch eine friedliche
Revolution veranstaltet hat, die Einparteienherrschaft der kommunistischen
Partei abgeschüttelt und seit dem Frühjahr dieses Jahres eine mit Hilfe
westlicher Experten ausgearbeitete ausgezeichnete demokratische Verfassung
hat, die ausdrücklich die Menschenrechte schützt und sie bewahren will.
Ich habe also bei dem Aufenthalt in der Mongolei den stellvertretenden
Ministerpräsidenten dort gefragt, wie man es mit der Aufarbeitung der
Vergangenheit halte. Er hat mich böse angesehen und hat gesagt: Was wollen
Sie? Wir haben hier eine Krise, diese Krise müssen wir überwinden, und
da haben wir keine Zeit, uns mit der Vergangenheit herumzuschlagen, das
interessiert uns im Moment gar nicht; jeder ist gefragt, er muß mit anpacken,
wir müssen die Krise überwinden! –
Und als ich ihm dann sagte, daß eine Vergangenheit, die nicht aufgearbeitet
wird, wie wir alle wissen und 1968 erfahren haben, wieder aufsteht, wieder
lebendig wird, daß die Fragen wieder hochkommen, hat er gesagt: Das
interessiert uns nicht, wir haben ja jetzt eine Demokratie, und die wird so
stabil sein, daß nichts passiert! –
Das hat mich etwas verblüfft, zumal er mir nachher sagte, er habe die Frage
als unhöflich empfunden, und man dürfe im Ausland doch nicht nach der
Vergangenheit des Betreffenden fragen.
Einen Tag zuvor hatte ein Gericht in der Mongolei einen Spruch gefällt, der
mich an Aussagen im Reichsgesetzblatt von 1934 erinnerte, nämlich daß alle
Handlungen der kommunistischen Partei- und Staatsführung in der Mongolei
in den letzten 70 Jahren rechtens gewesen seien und man also keinen Grund
habe, da irgend etwas aufzuarbeiten.
Ich erzähle das jetzt nicht, um hier Witze zu machen, sondern weil ich meine,
daß man bei all dem, was uns hier beschäftigt, gelegentlich auch einmal in
das östliche Ausland gucken sollte, das ja eigentlich ähnliche Probleme haben
sollte wie wir in den neuen Ländern.
Aber, um endgültig ernst zu werden: Auch bei uns ist es ja nicht so, daß solche
Stimmen wie die in der Mongolei nicht zu hören wären. Ich höre z. B. von
hochrangigen Juristen in Deutschland, daß sie sagen, es müsse nun endlich ein
Schlußstrich unter die Bemühungen zur juristischen Aufarbeitung der DDR-