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Reinhardt Oehler | 93 |
Bernhard Lageman | 95 |
Diskussion | 100 |
Schlußwort Rainer Eppelmann | 109 |
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegenliebe jungen Freunde!
Ich begrüße Sie alle zur öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission des
Deutschen Bundestages „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Pro-
zeß der deutschen Einheit“ ganz herzlich.
Ich möchte zunächst ein Wort der Erklärung dafür sagendaß die Mitglieder
der Enquete-Kommissionwenn ich das richtig seheheute nur zur knappen
Hälfte hier versammelt sind. Das hängt unter anderem damit zusammendaß
ein Mitglied des Deutschen Bundestagesder zugleich Vizepräsident des Deut-
schen Bundestages gewesen istunser Kollege Jonny Kleinverstorben istund
daß heute um 14.00 Uhr in Bonn der Staatsakt zu seiner Beerdigung sein wird,
und ein Teil der Kolleginnen und Kollegen deswegen heute nicht hier sind,
sondern an diesem Staatsakt teilnehmen.
In der heutigen hier stattfindenden Veranstaltung zum Thema „Mittelstand in
den neuen Bundesländern“ haben wir mittelständische Unternehmer aus der
Region eingeladenaußerdem Vertreter von Bundes- und Landesministerien,
der Wissenschaftvon Verbänden und Bankenum mit ihnen gemeinsam über
Erfolge und Probleme des Mittelstandes in den neuen Bundesländern zu dis-
kutieren.
Der Mittelstand mit seiner Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen
und vielfältigen Strukturen ist eine wesentliche Stütze und Motor der sozialen
Marktwirtschaft. Der wirtschaftliche Aufbau des Mittelstandes in den neuen
Bundesländern war deshalb von Beginn an ein besonderer Schwerpunkt der
Wirtschaftspolitik. Ziel war und ist esauch in den neuen Bundesländern einen
breitenleistungsfähigen Mittelstand in den Bereichen IndustrieHandwerk,
HandelGastgewerbein den sonstigen Dienstleistungsbereichen und den Frei-
en Berufen als Grundlage einer modernen und leistungsfähigen Wirtschafts-
struktur aufzubauen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Blick zurück in die Zeit der systemati-
schen Demontage des Mittelstandes in der DDR unter der Führung der SED.
Bereits in den Jahren 1945/49 setzte eine Welle von Enteignungen eindie vor
allem die privaten mittelständischen Betriebe trafen.
Durch Benachteiligung – z. B. bei der Beschaffung von Rohstoffen und Inve-
stitionsgütern – sowie durch steuerliche Nachteile wurde den privaten Unter-
nehmen und halbstaatlichen Betrieben das Überleben in den folgenden vierzig
Jahren zusätzlich erschwert. So betrug der Steuersatz mitunter bis zu 95 %, um
mögliche Gewinne sofort wieder abzuschöpfen.
Ich habe es erlebt, wie kleine Handwerksbetriebe in unserer Nachbarschaft
auch durch Steuerverfahren unter Anschuldigung von Wirtschaftsvergehen und
durch die Verweigerung von Mitarbeitern und Lehrlingen kaputtgemacht wur-
den.
Nach der letzten großen Verstaatlichungswelle in der ehemaligen DDR, bei der
im Jahre 1972 insgesamt 11.800 kleine und mittlere Unternehmen, vornehm-
lich aus dem industriellen Bereich, zusammengefaßt und in bestehende Kom-
binatsbetriebe integriert worden waren, gab es keine eigentümergeleiteten
selbständigen Unternehmen mehr.
Zwar bestanden zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung noch ca. 80.000
sogenannte Privat- oder halbstaatliche Betriebe, vorwiegend im Handwerk
oder im Kleinhandel, die aus versorgungspolitischen Erwägungen heraus tole-
riert wurden. Von wirklicher wirtschaftlicher Selbständigkeit konnte jedoch
nicht mehr die Rede sein.
Das Herrschaftsmonopol der SED-Führung auf dem Gebiet der Wirtschaft und
die Zerstörung des Mittelstandes führten zu katastrophalen Folgen, auch für
das wiedervereinigte Deutschland.
Nach dem Vollzug der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen den
beiden deutschen Staaten am 1. Juli 1990 galt dem Neuaufbau eines selbstän-
digen wirtschaftlichen Mittelstands in der DDR eine der höchsten wirtschafts-
politischen Prioritäten. Die ehemalige DDR-Regierung ließ im März 1990 die
Gründung und Tätigkeit von selbständigen Unternehmen mit und ohne auslän-
dische Beteiligung zu und bekannte sich zum Prinzip der Gewerbefreiheit.
Die Bundesregierung flankierte diese Maßnahmen durch die Bereitstellung
von Fördermitteln, zuerst aus dem ERP-Programm (European Recovery Pro-
gram) und kurze Zeit später aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm zur Grün-
dung selbständiger Existenzen.
Mit dem Einigungsvertrag vom September 1990 und dem Vollzug der Verei-
nigung am 3. Oktober 1990 wurden die neuen Bundesländer in die im Bundes-
gebiet geltenden Regelungen des Bundes zur Wirtschaftsförderung einbezo-
gen.
Die Politik konnte sich dabei auf drei Säulen stützen:
Auf die Unternehmensgründungen, die Reprivatisierung der 1972 verstaat-
lichten Unternehmen durch Rückgabe an ihre ehemaligen Eigentümer und auf
die Privatisierung ehemals volkseigener Betriebe durch die Treuhandanstalt.