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Wahlperiode 13, Band III/1, Seiten 196 und 197
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Protokoll der 29. Sitzung

Prof. Dr. Jürgen Schneider: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,
für meinen Beitrag zur „wechselseitigen Wahrnehmung der ökonomischen La-
ge in West und Ost“, habe ich hier als Maßstab die Arbeitsproduktivität ge-
wählt. Wenn man die Produktivität in der Bundesrepublik Deutschland und der
DDR untersucht, hat man einen Maßstab für die Effizienz des gesamten Pro-
duktionsprozesses. Ich bitte Sie, die Produktivitätsvergleiche der beiden deut-
schen Staaten den Abb. 2 und 3 (Hinweis: Tabellen und Abbildungen in Anla-
ge 1) aus meinem Referat zu entnehmen.

Die Abbildungen zeigen einmal die fiktive Produktivität der DDR aus der
Sicht der Bundesrepublik Deutschland (Schätzungen des DIW) und dann die
fiktive Produktivität der DDR aus DDR-Sicht. Des weiteren wird die reale
Produktivitätsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland in DM-Preise
von 1985 (je Einwohner) angegeben. Die Produktivitätsvergleiche der beiden
deutschen Staaten zeigen, daß die vor 1989 geschätzte (fiktive) Produktivität
der DDR aus der Sicht der Bundesrepublik (DIW-Sicht) und diejenige aus ei-
gener Sicht der DDR nahe beisammen stehen. Das heißt, die DDR schätzte den
Produktivitätsrückstand gegenüber der Bundesrepublik in etwa so hoch ein,
wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. In Begründungsunterlagen
der Staatlichen Plankommission für das Politbüro im Herbst 1988 wurde die
Arbeitsproduktivität der DDR (sogenannte „produktive Bereiche“) im Ver-
gleich zur Bundesrepublik Deutschland für 1980 mit 70 % und 1988 mit 72 %
angegeben, das heißt die DDR hätte in dieser Zeit höhere Wachstumsraten als
die Bundesrepublik gehabt. In einem DIW-Bericht von 1978 wurde festge-
stellt: „Das Wachstum des Sozialprodukts in der Bundesrepublik und der DDR
war von 1960 bis 1976 annähernd gleich schnell. [...] Umgerechnet auf DM-
Mark (West) ergibt sich ein Rückstand der DDR im pro-Kopf-Sozialprodukt
von etwa einem Fünftel gegenüber der Bundesrepublik. Dieser Rückstand
wurde in anderen internationalen Untersuchungen bisher erheblich höher ange-
setzt. [...] Deutlich wird, daß die vorliegende Rechnung die Hypothese von der
sich weiter öffnenden Schere im west- und ostdeutschen Leistungsvergleich
widerlegt: Zumindest seit 1967 hat sich die relative Position der DDR nicht
verschlechtert. [...] Die heute weithin üblichen Vorstellungen scheinen syste-
matisch die Position der DDR zu unterschätzen [...]“.

Warum überschätzte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die Pro-
duktivität der DDR?

Ein Teil der Gründe wurden hier von Frau Dr. Cornelsen vorgebracht. Ein
Grund liegt insbesondere im Bruttoprinzip. Durch das verwendete Bruttoprin-
zip kommt es grundsätzlich zur Überschätzung der physischen Volumina. We-
gen der Qualitätsmängel etc., die sich normalerweise in Preisabschlägen nie-
derschlagen, kommt es zu weiteren Luftblasen. Der folgende Grund ist bisher
noch nicht erwähnt worden: Durch den Übergang der westlichen Währungen
zur Konvertibilität nach 1958 und durch die Liberalisierung der Kapitalmärkte,
kommt es zur dynamischen Bewertung der Währungen durch die Märkte, ab
1968 verliert das Geld sein Odium der Stabilität endgültig und nach 1971 (Zu-

197
Wirtschaft – Sozialpolitik – Gesellschaft

sammenbruch des Systems der festen Wechselkurse [Bretton Woods-System]
und 1973 Übergang zu flexiblen Wechselkursen) verändert sich das Paritäten-
gitter der Währungen in der Weltwirtschaft erheblich. Dies bereitet der DDR-
Wirtschaft unglaubliche Schwierigkeiten, weil damit das Rechnen, sagen wir
einmal in festen Größen, unmöglich wird. Dadurch geht den sozialistischen
Ländern auch der zweite Fixpunkt einer stabilen Planungsgrundlage verloren.

Zur Einschätzung des DIW: Soweit sich das DIW mit dem Lebensstandard be-
schäftigte, waren die Ergebnisse sehr brauchbar, bei der gesamtwirtschaftli-
chen Produktivität verfing sich das Institut in den gleichen Fallstricken, wie
die DDR-Behörden. Verstärkt wurde die Überschätzung von Jahr zu Jahr auch
deshalb, weil man sich partiell auf bestehende Schätzungen stützte, die eben-
falls bereits von Anfang an überhöht waren. So wurden die Folgefehler immer
größer. Die Wahrnehmung der DDR-Verhältnisse stimmte nämlich schon wäh-
rend der 50er Jahre nicht mehr mit den tatsächlichen Verhältnissen überein.

1958 beabsichtigte die Sowjetunion, die kapitalistische Welt zu überholen. Die
DDR sollte mit dem Siebenjahrplan Westdeutschland überholen. Ich zitiere
jetzt Bruno Gleitze, der zeigt, wie es damals zu dieser Überhöhung kam:

„Der Startschuß war gegeben, und der sowjetzonale Planapparat setzte sich in
Bewegung. Die Zonenpolitiker gerieten in einen Rauschzustand, der nur in
Diktaturen möglich ist, da die orientierende Kontrolle fehlt. In der Sowjetzone
war das Klima für die bakteriologische Züchtung des Größenwahns zu dieser
Zeit günstig, der Bazillus mehrte sich kräftig. Er befiel auch sonst nüchterne
Planrechner. Das hatte mehrere Gründe.“ Und weiter: „Die Heimtücke der
Bruttorechnung in der Plandisposition war den Verantwortlichen für die so-
wjetzonale Planung offenbar noch nicht aufgegangen. Bis dahin nahmen sie
die Übersteigerungen aus der verzerrten Bruttorechnung als eine für das politi-
sche Selbstbewußtsein durchaus begrüßenswerte Nebenerscheinung hin. Jetzt
wurden sie ihr Opfer. Im Rausch der von Moskau ausgegebenen Direktive wä-
ren sie auch gar nicht in der Lage gewesen, die Weiche von der nominellen
Rechnung mit aufgeblähten Größenordnungen zur realen Rechnung der Wirt-
schaftsstatistik umzustellen, wie das in der aufkommenden Konjunkturfor-
schung der Marktwirtschaft schon ein halbes Jahrhundert früher geschah.

Drittens: Noch herrschte die Illusion vor, über bedeutende Reserven für die
Produktionssteigerungen zu verfügen“.

Zum Thema Illusion von Gerhard Schürer und Günter Mittag von der DDR-
Wirtschaft bitte ich Sie, die Abbildung 1 aufzuschlagen.

Die Abbildung zeigt phantastische Vorstellungen über die DDR-Wirtschaft.
Unter der Überschrift „Fiktion der Planer in der DDR“ wird die Produktivität
der DDR nach Einschätzung von Schürer, die reale Produktivität der DDR und
die reale Produktivität der BRD veranschaulicht. Graphisch umgesetzt kann
man der Darstellung für das Jahr 1936 einen Gleichstand entnehmen. Im Jahr
1950 wurden dann die Zahlen gleichgezogen. Die DDR erreichte im Jahr 1950
maximal 60 % der Produktivität der Bundesrepublik, d. h. dieser Fehler, der in