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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 78 und 79
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Protokoll der 34. Sitzung

rend, Ihre Gesichter zu beobachten. Man merkte es, daß Sie nicht bloß zuhö-
ren, sondern zum Teil sind die Wahrnehmungen, die geäußert worden sind, auf
Ihren Gesichtern gewesen. Auch wenn so einzelne Vokabeln wiedergekommen
sind, war es prachtvoll, in Ihre Gesichter sehen zu können. Wollte ich Ihnen
bloß mal so sagen. Ansonsten liegen wir für unsere Verhältnisse gut im Ren-
nen. Da wir außerdem Professor Faulenbach als Moderator für das letzte Drit-
tel haben, bin ich guten Mutes, daß wir, obwohl wir 20 Minuten später in unse-
re nächste Runde reingehen, dennoch unser Klassenziel erreichen werden. Al-
so meine Hoffnung ist, 16.10 Uhr hier pünktlich wieder zu beginnen.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Meine Damen und Herren.
Wir kommen zum Schlußteil unserer heutigen Anhörung. Wir haben uns in
den vergangenen Stunden mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Wir müs-
sen nun die Gegenwart stärker in den Blick nehmen. Wir wollen vor allem ver-
suchen, im Hinblick auf die „Therapie“ einige Vorstellungen zu entwickeln.
Bevor wir aber zu Vorschlägen für die „Therapie“ kommen, müssen wir noch
einmal versuchen, einiges an empirischem Material in die Diskussion einzu-
führen.

Ich darf Ihnen deshalb die beiden Referenten vorstellen, die jetzt zunächst ein
knappes Referat halten werden. Da ist einmal Professor Dr. Hans-Dieter Klin-
gemann. Er ist Professor für Politische Wissenschaft an der Freien Universität
Berlin und Direktor am Wissenschaftszentrum in Berlin für Sozialforschung.
Er hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht, forscht gegenwärtig auf dem
Gebiet des Wandels und der Konsolidierung demokratischer Systeme und führt
vor allem eine breit angelegte Studie über Werte und Wertewandel in Mittel-
und Osteuropa durch. Zum anderen wird referieren Herr Professor Dr. Richard
Münchmeier. Er ist Professor für Sozialpädagogik an der Freien Universität
Berlin. Er ist jüngst in der Öffentlichkeit besonders hervorgetreten als Leiter
der 12. Shell-Jugendstudie „Zukunftsperspektiven – gesellschaftliches Enga-
gement – politische Orientierungen“. Ich darf Sie bitten, in der hier nötigen
Knappheit Ihre Ergebnisse über die Befindlichkeiten und politischen Orientie-
rungen im heutigen Deutschland vorzutragen. Ich weiß, daß die Kürze der Zeit
eine Zumutung ist, ich muß Sie trotzdem bitten, sich an den Zeitrahmen zu
halten. Bitte sehr, zunächst Herr Professor Dr. Klingemann.

Prof. Dr. Hans-Dieter Klingemann: Schönen Dank, Herr Vorsitzender. Ich
habe mich über die Einladung gefreut, zumal die Breite des Themas, das mir
gestellt wurde, „politische Orientierung“, einen Interpretationsspielraum läßt,
der sozusagen mir auch gestattet, mich über etwas zu äußern, das mir gegen-
wärtig in meinen Forschungen tatsächlich am Herzen liegt. Und die fünfzehn
Minuten verbieten ohnehin, daß Ihnen hier sozusagen ein Überblicksartikel
abgeliefert wird. Zum zweiten will ich versuchen, Sie so wenig wie möglich
mit Zahlen und abstützenden zusätzlichen Entschuldigungen, daß das eine oder
das andere ja auch nicht zutreffen möge, zu behelligen. Ich werde die Gele-
genheit nutzen, um etwas zuzuspitzen, um Ihnen in der Diskussion, wenn Sie
dazu Fragen haben, dann auch im Detail zu antworten.

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Wechselseitige Wahrnehmungen und ihre Nachwirkungen

Vorhin hat es hier geheißen, die Grundmuster bleiben lebendig. Dies ist in ei-
nem weiteren Sinne auch die Frage, die ich hier stellen möchte. Ich möchte
fragen, warum die Zufriedenheit mit der Art und Weise, wie die Demokratie in
Deutschland funktioniert, im Mai 1997 – das ist die Umfrage, auf die ich mich
stützen werde – einen historischen Tiefpunkt erreicht hat. Nur knapp die Hälfte
der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland, genau 49 %, kam hier zu einem
positiven Urteil. Vor sechs Jahren, kurz nach der Wiedervereinigung, waren
noch mehr als zwei Drittel mit der Art und Weise, wie Demokratie in
Deutschland funktioniert, zufrieden. In der alten Bundesrepublik lag dieser
Anteil immer knapp an der 80 %-Grenze. Die Bürger, die in den neuen Bun-
desländern leben, und die Bürger, die in den alten Bundesländern leben, schät-
zen die Situation deutlich unterschiedlich ein. Während in den alten Bundes-
ländern die Bürger noch zu etwas mehr als der Hälfte, nämlich 53 %, glauben,
daß die Art und Weise, wie Demokratie in Deutschland funktioniert, sehr gut
oder zufriedenstellend ist, sind es in den neuen Bundesländern nur etwas
knapp mehr als ein Drittel, 35 %, die dieses meinen. Das heißt umgekehrt, daß
etwa zwei Drittel der Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern mit
der Art und Weise, wie unsere Demokratie funktioniert, nicht zufrieden sind.
Ich meine, dieser Befund ist bedeutsam, weil er darauf schließen läßt, daß die
Bürger die demokratischen Institutionen in unserem Lande, wenn das so wei-
tergeht, nicht mehr in der gleichen Weise unterstützen werden, wie das früher
als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Woran liegt das? Welche Folgen
hat das?

Es gibt eine Reihe von Erklärungsversuchen, warum die Bürger in den neuen
Bundesländern die Demokratie und das Funktionieren der Demokratie
schlechter einschätzen als die in Westdeutschland. Es wird zumeist damit er-
klärt, daß sie sozusagen den demokratischen Sozialismus auch internalisiert
haben, das heißt, daß sie von einem Grundmuster der Beurteilung ausgehen,
das eben in der DDR so realisiert wurde. So lauten die prägnanten Formulie-
rungen: „Vereint und doch verschieden“, oder „Spaltung der Deutschen“, oder
es ist die Rede von den zwei politischen Gemeinschaften in Deutschland, hier
auf ein kulturelles Interpretationsmuster gestützt. Ich werde dazu kurz noch
etwas erklären. Es spricht einiges dafür, daß sich die Wertmuster der Bürger in
den alten und in den neuen Bundesländern unterscheiden. Zum Beispiel, wenn
man danach fragt, welches Gewicht denn Freiheit oder Gleichheit haben soll,
dann sind die Bürger in den neuen Bundesländern sehr viel stärker der Mei-
nung, daß Gleichheit und nicht Freiheit an erster Stelle zu stehen habe. Und
wenn Sie etwa fragen, und das ist ja durch die „Frankfurter Allgemeine“ und
unsere Kollegin Noelle-Neumann in die öffentliche Meinung eingedrungen, ob
der Sozialismus eine gute Idee war, die nur schlecht ausgeführt wurde, dann
finden Sie auch, daß in den neuen Bundesländern mehr als drei Viertel der Be-
völkerung dieser Meinung sind, aber es sind auch in der alten Bundesrepublik
über 60 %, die das meinen. Also, es spricht durchaus etwas dafür, daß die Bür-
ger in den neuen Bundesländern sich in ihrem Demokratie-Verständnis von
denen in den alten Bundesländern unterscheiden.