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30 Divisionen. Die sowjetischen Gastgeber sagen den Deutschen: „Erfüllt
euch mit Kampfgeist, wir werden euch helfen.“ Am 9. April 1952 erhalten
die Moskauer Botschafter der drei Westmächte die zweite sowjetische Note.
Acht Tage zuvor hält Pieck als eine Konsequenz der deutschsowjetischen
Konferenzen fest: „FDJ muß schießen lernen.“
Man wird konstatieren dürfen, daß im ersten Nachkriegsjahrzehnt, spätestens
seit Mitte 1946, die Fronten in der Deutschlandpolitik der vier Besatzungs-
mächte starr waren. Die erfolglose Deutschland-Konferenz der vier Außen-
minister, die im Januar und Februar 1954 in Berlin stattfand, hat das ebenso
gezeigt wie das Treffen, das die vier Regierungschefs vom 18. bis zum 23. Juli
1955 in Genf zusammenführte.
Daß die Deutschen diese Starrheit und den von ihr verursachten Teilungs-
prozeß hinnahmen, ist allerdings nicht allein mit der vom Dritten Reich und
seinem Krieg hinterlassenen Erschöpfung zu erklären. Das Bedürfnis nach
Sicherheit ist eine der stärksten Triebfedern politischen Handelns. Tatsächlich
haben wir es neben dem Bedürfnis nach Sicherheit vor Deutschland, das eine
Folge des Zweiten Weltkriegs war, und neben dem Bedürfnis nach Sicher-
heit vor dem jeweils feindlichen Lager, das zum Kalten Krieg gehörte, mit
einem dritten Sicherheitsbedürfnis zu tun, mit dem sogar extrem ausgeprägten
Sicherheitsbedürfnis der Deutschen, das als politischer Faktor aufgrund der
Umstände freilich auf Westdeutschland beschränkt war.
Die Westdeutschen und dann die Bundesrepublik grenzten unmittelbar an
das entstehende und dann entstandene sowjetische Imperium. Man kann das
Vorspiel der von Hitler freigesetzten sowjetischen Dynamik ausklammern,
etwa den am 30. November 1939 unternommenen Angriff auf Finnland oder
die 1940 von Rumänien ultimativ erpreßte Abtretung Bessarabiens. Aber die
Bewohner Westdeutschlands hatten zwischen 1944 und 1949 die Entstehung
des sowjetischen Imperiums als prägende Erfahrung erlebt. Mit einer Faszi-
nation, die zu tiefsitzender Furcht führte, war registriert worden, wie dem
Zusammenspiel zwischen militärischer sowjetischer Macht – anwesend oder
drohend – und einheimischen kommunistischen Parteien erst Polen und zum
zweiten Mal, wie schon im Juni 1940, die baltischen Staaten, dann Bulgarien
und Rumänien, schließlich Ungarn und die Tschechoslowakei zum Opfer
fielen. Daß die Sowjetunion zugleich in jenem Teil Deutschlands, in dem sie
militärisch präsent war, ihre wirtschaftliche, politische und ideologische Herr-
schaft laufend ausbaute und ihre Besatzungszone allmählich praktisch in einen
Teil ihres Imperiums verwandelte, gab der Furcht naturgemäß eine besondere
Dimension; schien doch aus dem Vorgang hervorzugehen, daß der sowjetische
Imperialismus als ein grundsätzlich nicht zu saturierender Expansionismus
verstanden werden müsse. Wahrscheinlich hat dieser Schluß die stalinistische
Sowjetunion falsch eingeschätzt. Doch war dieser Schluß angesichts des
sowjetischen Vorgehens zwangsläufig.
Die erste Bundesregierung unterwarf ihr internationales Handeln, und zwar mit
Zustimmung einer eindeutigen Majorität der Bevölkerung, bewußt den vom
Sicherheitsbedürfnis gesetzten Orientierungspunkten, d. h. sie suchte bewußt
und konsequent die Anlehnung an die Westmächte, die allein in der Lage
waren, das Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Diese Politik hat ohne Frage
jene Politik begünstigt, mit der die vier Besatzungsmächte ihr Bedürfnis nach
Sicherheit vor Deutschland befriedigten. Zugleich entsprach die westdeutsche
Politik jener Jahre aber den damaligen politischen Möglichkeiten und ebenso
den politischen Interessen der Westdeutschen; sie war mithin, historisch
gesehen, ebenso unvermeidlich wie jedenfalls moralisch unanfechtbar. Danke.
(Beifall – Manuskriptfassung Seite 1381 ff.)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Graml.
Der Kalte Krieg in Europa hat nach zehn Jahren aus ehemaligen Verbündeten
und Alliierten Feinde gemacht und zur Teilung der Welt geführt, wie Sie, Herr
Professor Dr. Loth, ausführen werden. Ich bitte Sie herzlich darum, uns davon
zu berichten, wie es weitergegangen ist.
Prof. Dr. Wilfried Loth: Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! 30 Minuten für die Darstellung eines Zeitraums von knapp 30 Jahren
sind natürlich nicht viel Zeit. Ich erspare mir deshalb, zu wiederholen, was
ich in meinem Papier über die allgemeine Struktur des Ost-West-Konflikts
geschrieben habe (Manuskriptfassung Seite 1744 ff.). Ich gehe auch nicht auf
die Berlin-Krise ein, die am Anfang meines Berichtszeitraums steht.
Festzuhalten ist in unserem Zusammenhang nur – das ist gleichzeitig eine
Antwort auf eine der Fragen von Herrn Jacobsen von heute vormittag –,
daß die Berlin-Krise das definitive Ende jeder operativen Wiedervereini-
gungspolitik der Westmächte brachte. Dieses Ende wird nicht vom August
1961, sondern von der Genfer Außenministerratstagung vom Frühjahr und
Sommer 1959 markiert. Auf dem Rückflug von den Beerdigungsfeierlichkeiten
für John Foster Dulles vereinbaren die drei westlichen Außenminister, im
weiteren Verlauf der Konferenz nur noch über Berlin zu sprechen, d. h. nicht
mehr über Vorstellungen – auch westliche – zur Wiedervereinigung. Seitdem
konzentrieren sich die Westmächte auf die Behauptung des Status quo auch
in der deutschen Frage.
Der Ausgang der Kuba-Krise 1962, die ich jetzt auch nicht mehr im Detail
behandeln will – sie können das in meinem Papier nachlesen –, hatte für
die weitere Entwicklung des Ost-West-Verhältnisses zwei höchst bedeutsame
Konsequenzen. Zum einen sah Chruschtschow ein, daß er sich angesichts der
realen Machtverhältnisse vorerst mit der De-facto-Respektierung des Status
quo begnügen mußte. Er verstand auch, daß die amerikanische Haltung
tatsächlich defensiv war, so daß er das tun konnte. Damit hörte der Druck auf
Berlin auf. Zum anderen stellte Chruschtschow alle Weichen für den Ausbau
der Sowjetunion zu einer militärischen Supermacht, die den USA ebenbürtig