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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 278 und 279
278
Protokoll der 22. Sitzung
2. Thesenpapier von Karlheinz Blaschke282
3. Zusammenfassung der Ergebnisse einer Befragung von Vertretern
unterschiedlicher Leitungsebenen und Mitarbeitern des Zentralver-
bandes der LDPD
385
4. Hans-Hermann Hertle, „Funktion und Bedeutung der Massenorgani-
sationen in der DDR am Beispiel des FDGB“ (Manuskriptfassung)
390

 

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie unsbittePlatz nehmen und
beginnen! In besonderer Weise möchte ich diejenigen unter uns begrüßendie
keine Mitglieder der Enquete-Kommission sind und die unserer Einladung
gefolgt sindentweder um hier Zuhörende zu sein oder uns in einem
zweiten Teil unserer öffentlichen Anhörung mit ihren Erfahrungenmit ihren
Einsichten in Strukturen und Verbindungen behilflich zu sein. Herzlichen Dank
Ihnen allendaß Sie gekommen sindfür Ihre Bereitschaft und für Ihr Interesse.

Die heutige Sitzung der Enquete-Kommissiondie vom Deutschen Bundestag
eingesetzt wurdewird als öffentliche Anhörung zum Thema „Erfassung
und Einbindung des Menschen im SED-Staat – Zur Rolle der Blockparteien
und Massenorganisationen“ durchgeführt. Bedauerlicherweise haben wir auch
einige Absagen hinnehmen müssen. Die Gründe dafür werden verschiedener
Art sein. Ich kenne sie im einzelnen nichtmöchte aber an dieser Stelle
und aus diesem Anlaß noch einmal grundsätzlich erklären: Die Aufgabe der
Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland,
die der Deutsche Bundestag dieser Enquete-Kommission gestellt hatbedeutet
in erster Linie nichtSchuld aufzuspüren und zuzuschreiben. Diese Kommis-
sion soll auch keine juristischen Verurteilungen aussprechen. Die Aufgabe
dieser Kommission besteht vielmehr darindie Kenntnisse über daswas
die DDR warzu vermehrenzu intensiven Analysen einer untergegangenen
Wirklichkeit anzuregen und einer politischen Bewertung dessenwas die DDR
ausmachteden Weg zu ebnen und zumindest in Teilbereichen solche Analysen
selbst vorzunehmen.

Das heißtwir werden immer wieder das Gespräch mit denen suchendie in
die Strukturen der Deutschen Demokratischen Republik eingebunden waren,
und darum interessiert uns heute keine persönliche Schuld oder Unschuld
derjenigendie hier mit uns redensondern es geht uns darumzu erfahren:
Wie funktionierten diese Strukturen innerhalb der einzelnen Parteien und
Massenorganisationen in der DDRund wie war das mit den Verbindungen
und Verflechtungen zur SED?

Es ist uns an dieser Stelle eben wichtigmit denendie darüber etwas sagen
könnenins Gespräch zu kommen. Es wäre fatalwenn der Eindruck entstünde,
wir würden nur ü b e r andere reden.

279
Blockparteien und Massenorganisationen

Wenn ich von der DDR als einer untergegangenen Wirklichkeit gesprochen
habe, so zitiere ich damit ein Wort von Arnold Zweig, der schon 1933
anmerkte: „Um eine untergegangene Wirklichkeit verstehen zu können,
muß man ihre Voraussetzungen kennen.“

Die heutige Anhörung will einen Beitrag dazu leisten, einen ganz wesentlichen
Teil jener Voraussetzungen in den Blick zu rücken, die die untergegangene
Wirklichkeit der DDR ausmachten. Die sogenannten Blockparteien, die seitens
der SED immer wieder und nicht ganz ohne drohenden Unterton auch
als befreundete Parteien bezeichnet wurden, waren nach der allgemeinen
Erfahrung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger zunächst nichts anderes als
Transmissionsriemen der Partei. Sie dienten also vornehmlich dem Zweck,
diejenigen Menschen in das System einzubinden, an die die führende Partei
der Arbeiterklasse nicht so ohne weiteres herankam und mit denen sie nicht
in einen allzu nahen Kontakt treten wollte, zum Beispiel bewußte Christen.

Insofern hat es Robert Havemann 1976 schon richtig gesehen, wenn er über
die Blockparteien schrieb, sie seien ja gewissermaßen nur „Büros der SED,
versehen nur mit eigenem Firmenstempel“. Und generell betrachtet, wird man
wohl sagen dürfen, daß die Blockparteien dieser Funktion oft gerecht wurden.
Ich erinnere hier nur an die Rolle, die die LDPD bei der Enteignungskampagne
gegen die mittelständische Privatwirtschaft Anfang der 70er Jahre gespielt
hat, oder an das zähe, wenn insgesamt auch wenig erfolgreiche Bemühen der
Ost-CDU, in die Kirchen und Gemeinden einzudringen. Wir werden das ja, so
vermute ich, heute an der einen oder anderen Einzelheit erfahren können.

Um den Stellenwert der Blockparteien im gesellschaftlichen System der DDR
richtig zu verstehen, reicht es aber gewiß nicht aus, sie ausschließlich als
Büros der SED, nur mit eigenem Firmenstempel, wie es Robert Havemann
sagte, in Erinnerung zu rufen. Als die Sowjetische Militäradministration in
Deutschland für die Sowjetische Besatzungszone diese Parteien neben der
durch die Zwangsvereinigung von SPD und KPD entstandenen SED zuließ,
verbanden viele Demokraten damit die Hoffnung, hier könnte tatsächlich so
etwas wie ein demokratischer Neuanfang versucht werden. Und es waren gar
nicht wenige, die sich damals mit dem Wunsch zur Verfügung stellten, aktiv
beim Wiederaufbau des innerlich und äußerlich ruinierten Vaterlandes in einer
politischen Partei, die ihrer besonderen Interessenlage zu entsprechen schien,
mitzuarbeiten.

Welche Enttäuschung diese „Aktivisten der ersten Stunde“ dann erfahren
mußten, läßt sich etwa an den erbitterten Auseinandersetzungen ablesen, die
die CDU in der SBZ letztlich erfolglos durchzufechten versuchte.

Die Demokraten in den Blockparteien wurden erst allmählich und dann immer
energischer an den Rand gedrückt, aus ihrer Partei ausgeschlossen, aus dem
Land getrieben oder als Staatsfeinde zu Opfern jenes Einparteiensystems