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Wahlperiode 12, Band V/1, Seiten 150 und 151
150
Protokoll der 47. Sitzung

die Annäherung an die Machthaber gestärkt worden. Dies geschah aber wohl
eher unbeabsichtigt, wie Tim Garton Ash in seinem neuen Buch an mehreren
Stellen nachweist.

Ein letztes Beispiel für die wesentlichen Impulse, die von der tschechischen
und slowakischen Opposition ausgingen, möchte ich noch anführen, den
Prager Appell vom März 1985. Er ist an die Konferenz für europäische
nukleare Abrüstung in Amsterdam gerichtet, also an die Friedensbewegung.
Ein Zitat möge belegen, wie sich der Friedensbegriff ostmitteleuropäischer
Oppositioneller abhebt von dem, was gängigerweise unter Frieden verstanden
wurde:

„Nur freie und würdige Bürger können die Freiheit und Selbstbestimmung
der Nationen garantieren. Und nur souveräne Nationen können Europa als
eine Gemeinschaft gleichberechtigter Partner begründen, von dem nicht
die Gefahr eines globalen Krieges in die Welt ausstrahlt, sondern das ein
Beispiel für wirkliches friedliches Zusammenleben ist.“

Inzwischen ist die Jalta-Teilung beendet. Aber für die meisten von uns
unerwartet haben sich neue Gefahren eingestellt: Krieg und Nationalismus
mitten in Europa. Der tschechische, slowakische, polnische und ungarische
„Traum von Europa“ hat sich nur zum Teil erfüllt.
Ein weiterer Satz des Prager Appells möge beweisen, daß wir allen Grund
haben, sehr aufmerksam auf unsere ostmitteleuropäischen Freunde zu hören:

„Wir können auch einigen bisherigen Tabus nicht aus dem Wege gehen.
Eines davon ist die Teilung Deutschlands. Wenn man in der Perspektive
der europäischen Einigung niemandem das Recht auf Selbstverwirklichung
streitig machen kann, dann gilt das auch für die Deutschen.“

Das war also am 11. März 1985, zufällig an dem Tag, an dem Robert
Havemann 75 Jahre alt geworden wäre, und es war das Jahr, in dem
Gorbatschow die Hauptrolle im letzten Akt des sowjetischen Stücks übernahm.
Selbstverständlich kommt der Begriff des demokratischen Sozialismus im
Prager Appell nicht mehr vor, auch lange zuvor schon nicht mehr.

Was aber machten wir – also besagte Handvoll ostdeutscher Oppositioneller –
in unserem Antwortbrief im Juni 1985? Wir schrieben den Begriff wieder
rein. Es dauerte eben alles etwas länger in der DDR. Den europäischen Traum
übernahmen wir, den deutschen aber packten wir ganz vorsichtig, noch ganz
ungläubig, in jenen ein.

Es dauerte noch bis zum 10. Dezember 1987, dem Tag der Menschenrechte –
fast 20 Jahre nach dem Beginn des Prager Frühlings –, an dem die Initiative
Frieden und Menschenrechte in einer grundsätzlichen Erklärung vollständig
auf den Sozialismus-Begriff verzichtete. Ein Stasi-Offizier wies mich im
Verhör darauf hin. Ich hatte das als Mitautor selbst nicht einmal bemerkt.
Auch dies muß der Ehrlichkeit halber einmal gesagt werden. (Beifall)

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Internationale Rahmenbedingungen (CSSR 1968, Polen 1980/81)

Gesprächsleiter Prof. Gert Weisskirchen (SPD): 1968 und danach schien es
so, als wenn das regierende Europa den Status quo von Jalta verinnerlicht hätte.
Aber wir haben ja durch die Erklärungen, die wir jetzt gehört haben, gesehen,
daß sich aus dem Innern etwas anderes entwickelte. Zunächst allerdings war
es so, daß dem europäischen Osten sein unglückliches Bewußtsein blieb, wie
György Konrad es ausgedrückt hat.

Aber es gab auch anderes. Es gab welche, die versuchten, das zu durchkreuzen,
und ein neues Europa reifte von unten heran. Tim Garton Ash hat das zunächst
in seinem ersten großen Buch „Die Abwahl des Jahrhunderts“ und nun in
seinem zweiten Buch beschrieben.

Aber es gab noch andere Personen, die dagegen aufgestanden sind. Als einen
von ihnen möchte ich ganz herzlich Frantisek Czerny unter uns begrüßen,
den Gesandten der Tschechischen Republik, und zwei andere Deutsche, Rudi
Pahnke und Eva Quistorp, die ebenfalls unter uns sind. (Beifall)

Tim, wie haben Sie als Engländer das beobachtet, was in der Mitte Europas
vor sich ging: Die Deutschen, verzagt und zurückhaltend, und die anderen,
die Tschechen und die Slowaken, anders, mutiger, so wie es aussah?

Timothy Garton Ash: Ich möchte zunächst sagen, daß ich mich sehr freue,
hier aussagen zu können. Ich halte die Enquete-Kommission in der Tat für
eine sehr wichtige und gute Sache. Ich glaube, gerade die wissenschaftliche
und publizistische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nach 1945, auch in der
Zeitgeschichtsschreibung, ist wirklich vorbildlich gewesen. Sie hat viel zur
Vertiefung der Demokratie in der alten Bundesrepublik beigetragen. Ich kann
mir denken, daß das auch im Falle der SED-Diktatur langfristig die beste und
wirksamste Form der Aufarbeitung dieser Vergangenheit sein wird.

Es ist schon viel Richtiges und Wichtiges gesagt worden. Ich möchte mich nur
auf zwei Aspekte konzentrieren, und zwar zum einen auf das Verhältnis – es
ist schon angesprochen worden – zwischen westlicher Ostpolitik – nicht nur
deutscher, aber vor allem der deutschen Ostpolitik und Entspannungspolitik –
und dem Prager Frühling und der Entwicklung in der Tschechoslowakei
danach. Zum zweiten geht es mir um die Folgen, um die Zusammenhänge
zwischen 1968 und 1989.

Erst einmal eine ganz banale Feststellung: Der Prager Frühling ist offensicht-
lich keine Folge der Entspannungspolitik gewesen, weil es diese Entspan-
nungspolitik vorher nicht gab. Zwar gab es sie sicher ansatzweise im Konzept
bei Willy Brandt als Außenminister. Sie haben das auch angesprochen. Das
hat auch Hoffnung gegeben. Aber es gab sie noch nicht in der Praxis. Die
Ostverträge gab es noch gar nicht; im Gegenteil: Es war ja noch möglich, bis
zu einem bestimmten Grade sogar öffentlichkeitswirksam in Osteuropa den
Einmarsch in die Tschechoslowakei mit der angeblichen deutschen Bedrohung,
der Bedrohung durch den deutschen Revanchismus, zu rechtfertigen, was 1981
nicht mehr so möglich war, geschweige denn 1989.