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ponente oder internationale Rahmenbedingungen einer Revolution in einem
Ostblockstaat. Denn die Schwäche der kommunistischen Macht resultierte
nicht nur aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern ganz einfach
aus der Angst vor neuen sozialen Unruhen. Das Zurückziehen der Preiser-
höhungen ist ein Beweis dafür; ich unterstreiche das noch einmal. Die nur
begrenzten Gegenmaßnahmen gegen die Opposition resultierten auch aus der
internationalen Lage, genauer gesagt: aus der Entspannungspolitik nach der
Unterzeichnung des Helsinki-Abkommens. Die Rücksicht auf die öffentliche
Meinung im Westen trug dazu bei, daß es die kommunistischen Behörden nie
gewagt haben, die oppositionelle Bewegung in Polen entschieden zu ersticken.
Technisch gesehen war es zwar durchaus möglich, aber politisch schon nicht
mehr; so scheint es mir zu sein. Die Entspannungspolitik, also die Beschlüsse
von Helsinki und die Menschenrechtsdoktrin, waren eine wichtige Stütze der
oppositionellen Tätigkeit. Die Auswirkungen der Entspannungspolitik haben
sich letzten Endes zugunsten der Opposition entwickelt.
Die fünf Faktoren sind also: erstens die strukturelle Krise bzw. das Versagen
der kommunistischen Planwirtschaft, zweitens ein neues Phänomen: die Oppo-
sition, drittens die Rolle der Kirche, viertens die Bewältigung der Angst und
fünftens die Entspannungspolitik, also die internationale Komponente bzw.
internationale Rahmenbedingungen. Ich glaube, daß dies die Ausstrahlung der
Solidarnosc-Erfolge auf andere Ostblockländer ermöglicht hat, darunter auch
auf die DDR, wo gewisse Formen des bürgerlichen Protestes übernommen
wurden, angefangen von den oppositionellen Gruppierungen in der DDR über
die Untergrundveröffentlichungen bis zu den Gesprächen am Runden Tisch
nach dem Fall der Mauer in der DDR.
In diesem Zusammenhang muß man auch die Rolle der evangelischen Kirche
erwähnen, die vergleichbar mit der Rolle der katholischen Kirche in Polen
war. Es hat sich so geschickt: Mitte Oktober 1989 bin ich in Berlin gewesen
und habe die Erscheinungen des Protestes gesehen: die Demonstrationen auf
den Straßen, die brennenden Kerzen und die Hungerstreiks in den Kirchen. Ich
habe damals gedacht: Ich habe das irgendwo schon einmal gesehen, und zwar
in Polen. Ich schließe also, daß die Erfahrungen der polnischen Opposition
auch für die Opposition in anderen Ostblockstaaten hilfreich waren, und dies
nicht nur in der DDR. Nach der Wende habe ich erfahren, daß auch in Rußland
die Solidarnosc-Bewegung in der Bevölkerung, in Dissidentenkreisen eine
große Rolle gespielt hat und daß es in der Sowjetunion Mitte der 80er Jahre
den Versuch gab, eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen. Dieser Versuch
scheiterte. (Beifall)
Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Ganz herzlichen Dank, Herr Wiec-
zorek. Es ist wirklich spannend. Man kann die fünf Punkte und die Themen
alle für ähnlich wichtig für die DDR halten. Wenn man dann die Situation
beider Länder vergleicht, stellt man ungeheure Unterschiede fest. Dies dann
im einzelnen nachzuvollziehen kann, denke ich, nachher sehr spannend sein.
Ich will, weil Sie von dem Besuch im Oktober sprachen, nur kurz erzählen,
daß Sie mir gestern abend berichteten, daß Sie in diesem Zusammenhang
ein Gespräch mit Günther Särchen hatten, der in dieser Runde vielleicht
einmal erwähnt werden soll. Er ist ein deutsch-polnischer Aktivist aus
Magdeburg, der das Anna-Morawska-Seminar geleitet hat. Ludwig Mehlhorn
hat gewissermaßen dann von ihm die Fäden übernommen. Er hat im
Versöhnungsprozeß zwischen der DDR, und zwar nicht der offiziellen DDR,
und Polen eine große Rolle gespielt. Es gab dann ein Gespräch, dessen
Ergebnis zeigt, daß Herr Wieczorek einen weitaus größeren Weitblick hatte als
viele von uns in der DDR, indem er sagte: Wenn das so weitergeht, wird die
Einheit schnell kommen. Eine Demokratie ohne deutsche Einheit gibt es in
der DDR nicht. Demgegenüber waren viele von uns der Meinung, dies wäre
zumindest im Augenblick international anders kaum verkraftbar.
Herr Dr. Hajnicz, Sie sind der nächste; wir bitten Sie um Ihre Ausführungen.
Dr. Artur Hajnicz: Meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie, ich werde
meinen Botschafter hier vielleicht denunzieren. Ich sagte ihm während der
Pause, daß ich mich in einer schwierigen Lage befinde, weil hier vor mir schon
alles gesagt wurde. Was soll man jetzt noch ausführen? Daraufhin sagte er mir:
Sag das Entgegengesetzte. Also werde ich versuchen, das Entgegengesetzte
zu sagen.
Wir hörten eben etwas über die Ursachen. Um etwas über die Folgen zu sagen,
muß ich noch etwas über das Wesen der Solidarnosc ausführen, also darüber,
worin das Spezifische der Solidarnosc besteht. Darüber wurde eigentlich auch
schon vormittags viel gesagt. Die Unterschiede zwischen dem Prager Frühling
und der Solidarnosc sind sehr tief und weitgehend. Schon Mlynar sagte,
daß der Prager Frühling der letzte Versuch einer Verbesserung, einer Reform,
des kommunistischen Systems war. Er ist gescheitert. 35 Jahre lang wurden
doch viele Versuche unternommen, das System zu reformieren. Alle waren
gescheitert, mehr oder weniger, schneller oder langsamer, so oder anders.
Man mußte sich auch die theoretische Frage stellen, ob das System überhaupt
reformierbar ist, ob es wirklich einen Sozialismus mit einem menschlichen
Antlitz geben kann. Die Antwort ist negativ. Man könnte es so erklären: Das
Schlimmste am Kommunismus steckt nicht in dem Schlimmen, im Terror,
in den Gefängnissen oder in der Mißachtung der Menschenrechte; das kann
man alles hinnehmen. Das Schreckliche steckt vielmehr im Guten, das der
Kommunismus gemacht hat und das man nicht entbehren will. Das Gute ist
mit seinem Wesen ganz eng verbunden. Das ist das Malheur; darin steckt das
Schlimme. Denn z. B. die Sanatorien oder die Kindergärten, also das Schöne,
muß man jetzt entbehren. Das gilt auch für die Staatsbetriebe, in denen man
arbeiten kann, aber nicht unbedingt effektiv und gar nicht intensiv. Es sind