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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 154 und 155
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Protokoll der 56. Sitzung
  1. Das war die geistliche Notwendigkeit – nun sage ich wieder etwas ganz
    Böses, aber das ist mir egal. Nachdem wir eingesehen hatten, daß nach dem
    Mauerbau von seiten der Westmächte nichts geschah und wir preisgegeben
    wurden an das sowjetische politische System, wurde klar: Diese DDR ist
    kein Interim, kein Intermezzo, sondern wir haben uns dauerhaft auf die
    Situation hier einzustellen. Denn das war unser Grundsatz: Wer anderen
    das Evangelium mitteilen will, muß mit ihnen die Situation teilen, und
    zwar ganz und gar.

Nun kam die berühmte Formel. Aber dieser Weg war schon gegangen. Die
Formel ist ganz sicher eine Kurzformel, ein Kürzel, sie ist mißverständlich –
dazu ist genug gesagt worden. Aber wir haben sie interpretiert. Und das
muß man jetzt doch einmal sagen, wie wir sie interpretiert haben. Das
habe ich heute noch nicht gehört. Wir haben, ich jedenfalls und viele mit
mir, sie so interpretiert: „Kirche im Sozialismus ist eine gesellschaftliche
Ortsbeschreibung“, eine gesellschaftliche, nicht bloß eine geographische DDR.
Und darum ist die Frage: Warum nicht Kirche in der Marktwirtschaft? gar nicht
so unangemessen, denn es gab ja dauernd die Gegenformulierung „Kirche
im Sozialismus“ oder „Kirche im Pluralismus“. So hieß es meistens. Der
Pluralismus ist zwar der Ausdruck für Vielfalt, aber er läßt die Dominanz des
Wirtschaftlichen nicht erkennen. Wir haben gesagt: „Kirche im Sozialismus“
heißt, daß wir jetzt nach Gottes Willen in dieser Gesellschaft und diesem Staat
leben, für den sich der Begriff Sozialismus eingebürgert hat, und daß wir
diesen Raum als die uns von Gott zubestimmte Situation der Bewährung
unseres Glaubens, unseres Auftrags in dieser sozialistischen Gesellschaft
annehmen. Wir wollten diese Gesellschaft nicht ohne das beste lassen, was es
gibt, nämlich ohne das Evangelium. Darum ist diese Formel zunächst einmal
eine provokatorische Formel gewesen, denn die Kirche hatte im Sozialismus
nichts zu suchen. Wir erklärten: „Wir haben die Absicht, hier zu sein, und wir
haben die Absicht, hier das Evangelium zu verkündigen und uns einzumischen
mit dem Evangelium.“ Und darum hat Heino Falcke sehr recht, wenn er diese
Formel für eine Konfliktformel erklärt hat. Denn wer in der DDR den Auftrag,
das Evangelium zu verkündigen, übernommen hatte, der wußte, daß er damit
in Konflikte gerät. Und Heino Falcke hat dann gesagt, daß das nicht eine
Zustandsbeschreibung für den Status quo war. Das ging doch schon aus der
nächsten Synode, wo Heino Falcke sein Referat gehalten und von der Kirche
im „verbesserlichen Sozialismus“ geredet hat, hervor. Wie das heute klingt:
„verbesserlicher Sozialismus“! Damals klingelten bei diesem Wort beim ZK
sämtliche Alarmglocken, denn das war eine Losung, die aus der CSSR kam.
Falckes Vortrag durfte in der DDR nicht gedruckt werden. Die Synode hat
lange gewackelt. Es wurde verlangt, daß dieser Vortrag als nicht gehalten
erklärt wurde. So war das. Vom „verbesserlichen Sozialismus“ hat Falcke
doch nicht gesprochen, weil er im Sozialismus so wunderbare Erfahrungen

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

gemacht hätte, daß er ihn für „verbesserlich“ gehalten hätte, sondern weil
er diesen Sozialismus unter der Herrschaft des dreieinigen Gottes wußte und
darum Hoffnung für ihn hatte. Darum, nicht aus den Erfahrungen, die er mit
ihm gemacht hatte, ist diese Hoffnung erwachsen. (Beifall)

Gesprächsleiter Superintendent Martin-Michael Passauer: Ich würde
gerne jedem von Ihnen noch einmal eine Möglichkeit geben zu reagieren.
Sie haben jetzt alle fünf geredet, und ich könnte mir vorstellen, daß dieser
oder jener, wenn es irgend geht, knapp, aber ruhig provokatorisch sagt: „Hier
muß ich widersprechen“ oder „Hier muß ich noch einmal ergänzen“. Ich habe
schon einige Wortmeldungen hier, so daß wir dann das Gespräch eröffnen.
Bruder Leich.

Landesbischof em. Dr. Werner Leich D.D.: Ich möchte gerne etwas zu
Professor Besier sagen. Sie haben gesagt, es gäbe Schlüsselereignisse und
Schlüsselaussagen, die die Affinität der evangelischen Kirchen zum System
des Sozialismus belegen. Ich will zuvor sagen, daß ich mich in einer
ganz schwierigen Situation befinde. Wenn uns Vorwürfe in solcher Richtung
gemacht werden und wir dagegen sprechen, erscheint das immer so, als
wollten wir uns selbst rechtfertigen, als seien wir zu verstockt, um zuzugeben,
was wir falsch gemacht haben. Im Grunde genommen wäre immer die
gefälligste Antwort: „Ja, du hast recht.“ Aber das kann ich nicht. In der
Sache muß Klarheit herrschen. Nun ist ganz gewiß die Beurteilung von
Schlüsselereignissen oder -aussagen eine subjektive Sache. Jeder hat auch
das Recht, diese Wertungen zu setzen. Nur steht dem folgendes entgegen: Wir
haben in der gesamten Zeit der organisatorischen Trennung von EKD und
Bund der Evangelischen Kirchen zwei Gremien gehabt, die von beiden Seiten
in engster Weise paritätisch besetzt beraten haben. Das war die Beratergruppe,
die sehr geheim gearbeitet hat. Ich habe übrigens immer nur Kurzprotokolle
verfertigt, die auch nie von der Beratergruppe bestätigt wurden, sondern
das hat immer der Sekretär gemacht, der dabei gewesen ist. Das war die
Konsultationsgruppe, in der jede Landeskirche Ost und West möglichst durch
eine Person vertreten war. Ich war in beiden Gremien. Ich habe nicht ein
einziges Mal erlebt, daß der Eindruck entstanden sein könnte, es werde von den
Brüdern aus der DDR, den Brüdern in der Bundesrepublik abverlangt, einen
anderen Weg zu gehen, einen Weg, der unserem angeglichen wäre. Ich erinnere
mich noch sehr genau an die leidenschaftliche Debatte um die Frage, ob es
eine eigene DDR-Nationalität gäbe. Wir hatten damals einen Staatsrechtler
aus der Bundesrepublik, der uns einen Vortrag darüber gehalten hat. Da war
uns völlig klar, daß jeder seinen eigenen Weg gehen mußte und vor den
anderen zu verantworten hatte. Wir waren auf der DDR-Seite durchaus nicht
für die DDR-Nationalität. Aber das war unter uns ein ungeschriebenes Gesetz.
Jeder achtet die Meinung des anderen, wir reden offen darüber, aber wir
erkannten an, daß jede Kirche in einer anderen gesellschaftlichen Formation