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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 264 und 265
264
Protokoll der 68. Sitzung

innergesellschaftlich. Das war permanenter Zielpunkt, bis zum Aufruf des
„Neuen Forum“, das darin wirklich seine geradezu geniale Stunde hatte,
indem es dazu aufforderte, diesen Dialog über die Fragen des Landes zu
beginnen. Damit zerbrach im Grunde ein Monopol, denn bis dahin ist die
Selbstverständigung der Bürger über ihre Zukunft verhindert worden. Dialog
war also ein Grundprinzip zumindest der Praxis, die wir selbst bestimmen
wollten.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke: Auf meiner Liste stehen jetzt fünf
Namen. Nach dem Vorschlag von Markus Meckel möchte ich die Liste auch
gleich schließen; denn wir haben ja vor, noch eine Gesamtrunde zu machen.
Herr Jacobsen!

Sv. Prof. Dr. Hans-Adolf Jacobsen: Ich möchte Frau Poppe und Frau
Eigenfeld meinen Dank dafür aussprechen, daß sie dieses Selbstverständnis so
dargestellt haben. Vielleicht könnten wir in Zukunft doch ein wenig präziser
als in der Vergangenheit unterscheiden zwischen oppositionellem Verhalten zur
Reform des Systems – keine Opposition, sondern oppositionelles Verhalten! –
und oppositionellem Verhalten zur Überwindung des Systems. Damit hätten
wir zwei Kategorien, wobei manches natürlich noch dazwischenliegt. – Aus
den Beiträgen hier ist sehr deutlich geworden, daß solche Unterscheidungen
notwendig sind.

Eine Frage an Herrn Gutzeit: Bei hohem Respekt vor dem, was gestern und
heute gesagt worden ist – es waren bewegende Zeugnisse dabei –, muß man
doch immer wieder den Versuch unternehmen – der scheint mir bei Ihnen,
Herr Gutzeit, nicht hinreichend gelungen zu sein –, die Wirkungsgeschichte
ein wenig stärker im Auge zu behalten. Das heißt: Wir müssen uns fragen: Wie
war denn die Transformation in der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik überhaupt möglich, und wie ist in dem Zusammenhang das Verhalten
von Menschen zu sehen, wie es geschildert worden ist?

Da gehört es zur Ehrlichkeit, zu sagen: Ohne die Bemühungen von außen, ohne
eine permanente Strategie der Auflockerung – Stichworte: Harmel-Bericht,
Entspannung, KSZE-, um überhaupt diesen Handlungsspielraum nicht nur in
der DDR, sondern auch in Polen und in anderen Staaten zu schaffen, war das,
was seit den sechziger /siebziger Jahren lief, nicht möglich; das war eine der
Grundvoraussetzungen.

Es klang schon bei Herrn Misselwitz ein wenig an: Ohne den Prozeß der
Entdogmatisierung und Entmilitarisierung von Gorbatschow – um nur ein
weiteres Beispiel zu nennen – wäre die Möglichkeit zu verstärktem oppo-
sitionellem Verhalten in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
nicht denkbar gewesen. Wir wissen das aus dem Jahr 1956. Wir wissen das
aus dem Jahre 1968.

Ich wäre dankbar, wenn Sie aus Ihrer Sicht das vielleicht noch einmal
gewichten könnten, weil uns ja erst das Zusammenspiel von äußeren und

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

inneren Faktoren befähigt, die Gewichte stärker so zu setzen, wie sie historisch
wahrscheinlich zu setzen sind.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke:
Martin Gutzeit, Jahrhundert-
frage!

Martin Gutzeit:
Das ist eine Frage, über die wir schon seit geraumer Zeit im
Clinch liegen.

Wesentlich für diese ganze Aufbruchs-, Umbruchsphase ist doch, daß hier
tatsächlich DDR-interne Kräfte wirksam geworden sind. Daß dabei gewisse
Rahmenbedingungen eine Rolle gespielt haben, habe ich nie in Frage gestellt.
Ich habe bewußt auf Gorbatschow, auch auf den KSZE-Prozeß hingewiesen.
Ich habe andererseits aber auch auf eine westliche Fehlperspektive hin-
gewiesen, die nämlich die Notwendigkeit von Veränderungen als internen
Prozeß oppositionellen Verhaltens zumindest in den achtziger Jahren, wenn
nicht schon vorher, überhaupt nicht mehr im Blick gehabt hat. Das ist doch
der Sachverhalt, auf den ich hinweisen muß.

Ich muß das so sagen: Das geht hin bis zu Gert Weisskirchen. Als ich mit
ihm im Juni 1989 zusammenkam und er mich gefragt hat: „Wie ist denn
das? Wie soll sich denn die SPD gegenüber der DDR verhalten?“, habe ich
versucht, ihm das zu erläutern. Ich habe gesagt: „Ihr müßt euch so verhalten,
daß das, was Ihr seid, auch bei uns möglich ist, das heißt das Wahrnehmen
dieser politischen Rechte, so daß wir eigentlich, wenn Sie es ernst nehmen, die
gleichen Rechte haben.“ Das begreiflich zu machen war jedenfalls in Richtung
Westen nur schwer möglich. Das ist eine andere Handlungsperspektive als
die der Entspannung. Das war doch eher ein Versuch, die Probleme, die wir
hatten, ein bißchen zu dämpfen, ein bißchen menschlicher zu gestalten. Aber
die Systemüberwindungsperspektive lag in keiner Weise oder nur bei den
wenigsten vor, und dort, wo sie vorhanden war oder formuliert wurde, war
es sehr abstrakt und formal und hatte überhaupt nicht mehr die DDR-internen
oppositionellen Kräfte im Blick.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke:
Herr Weisskirchen, Herr Pas-
sauer, Herr Hilsberg, Herr Fischer.

Abg. Prof. Weisskirchen (SPD):
Ja, auch der Westen; Gorbatschow auch,
einverstanden –, aber der entscheidende Punkt ist, daß es Menschen gibt,
die in entscheidenden Situationen, die nicht wiederkehren, die Freiheit des
Handelns in Anspruch nehmen, ohne daß sie wissen, zu welchem Ergebnis
dieses Handeln führt, ob es sie selbst hinwegfegt, ob es das Individuum wieder
zum eigenen Leben bringt. Das ist der Versuch gewesen, in der Wahrheit zu
leben und die Bedingungen zu schaffen, die notwendig sind, damit Freiheit
überhaupt erst gelebt werden kann. Ich weiß, Herr Professor Jacobsen, daß es
da Grenzen gibt, aber wenn es nicht in entscheidenden Situationen Menschen
gibt, die nicht nach Grenzen fragen, sondern diese Grenzen überspringen und
den Mut haben, sie zu durchbrechen, kann Freiheit nie konstituiert werden.