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Protokoll der 48. Sitzung
der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-
Diktatur in Deutschland“ am Freitag, dem 22. Oktober 1993; Beginn: 10.00
Uhr; Bonn, Bundeshaus, NH 1903;; Vorsitz: Abg. Rainer Eppelmann (CDU/
CSU), Abg. Margot von Renesse (SPD); einziger Punkt der Tagesordnung:
Öffentliche Anhörung zu dem Thema
„Die Deutschlandpolitik von 1949 bis in die sechziger
Jahre“
Inhalt
Eröffnung Rainer Eppelmann | 238 |
Vorträge Horst Möller | 240 |
Bernd Faulenbach „Die Deutschlandpolitik von 1949 bis in die sechziger Jahre“ | 254 |
Josef Foschepoth „Adenauer und die deutsche Frage“ | 265 |
Gerhard Wettig „Die Deutschland-Note vom 10. März 1952 nach Akten des sowjeti- schen Außenministeriums“ | 271 |
Diskussion | 275 |
Anlage Horst Möller, Schwerpunkte der Politik Konrad Adenauers in be- zug auf die Deutschlandpolitik und die Westintegration, 1949–1963 (Manuskriptfassung) | 326 |
Vorsitzender Rainer Eppelmann (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Ich möchte Sie alle ganz herzlich begrüßenin besonderer Weise,
Sie verzeihen mir die Heraushebungden Vertreter der Bundeszentrale für
politische Bildung. Ich halte es für ungeheuer wichtigdaß er immer wieder
mit dabei ist und durch sein Dabeisein immer wieder zeigtdaß daswas diese
Enquete-Kommission leistetetwas Wichtiges ist und unter die Menschen
gebracht werden muß. Wir sind zutiefst davon überzeugtunsere Aufgabe
kann nur gelingenwenn sie von möglichst vielen Deutschen zur Kenntnis
genommen wird. Ich freue mich auch darüberdaß ein Fachminister unseres
Themas, der sich mit gesamtdeutschen Teilungs-Fragen befassen mußte, heute
unter uns ist. Ich begrüße herzlich Herrn Dr. Erich Mende. (Beifall)
Die heutige 48. Sitzung der Enquete-Kommission, die in öffentlicher An-
hörung das Thema „Die Deutschlandpolitik von 1949 bis in die sechziger
Jahre“ behandelt, steht für mich in engster Verbindung zu der zweitägigen
Veranstaltung, die wir in der vorigen Woche im Berliner Reichstag hatten,
am 12. und 13. Oktober 1993. Da haben wir die Deutschlandpolitik gewis-
sermaßen von außen her betrachtet. Wir haben uns mit den internationalen
Rahmenbedingungen der Deutschlandpolitik beschäftigt und der besonderen
Rolle, die das geteilte Berlin dabei spielte.
Mich hat und ich möchte noch einmal daran erinnern, bei dieser Anhörung
ganz stark beeindruckt, was die ausländischen Freunde und Kollegen uns
berichtet haben. Sowohl unter den Menschen, die sich im Prager Frühling
engagierten und um die Charta 77 organisierten, wie auch bei denen, die in
Polen die Solidarnosc zur gesellschaftsverändernden Massenbewegung mach-
ten, gab es nicht wenige, die über die deutschen Perspektiven offensichtlich
ein Stück anders als wir und auch sehr kreativ nachdachten. Wenn da von
den neuen Perspektiven gesprochen wurde, die sich nach der Veränderung der
sozialistischen Zwangsregime ganz selbstverständlich ergeben müßten, dann
spielte auch die folgende Überlegung immer wieder eine wichtige Rolle: Das
zueinanderfindende Europa kann nur im Frieden leben, wenn die deutsche
Frage befriedigend gelöst worden ist. Befriedigend gelöst werden kann die
deutsche Frage aber nur auf dem Weg der Vereinigung oder Wiederverei-
nigung. Dabei gab es bei den polnischen, tschechischen und slowakischen
Freunden gewiß auch sehr unterschiedliche Vorstellungen, in welcher Weise
und in welchen Zeiträumen diese deutsche Vereinigung bewerkstelligt wer-
den könnte. Aber die Perspektive war da! Gewiß auch deshalb, weil das
nationale Selbstverständnis bei unseren östlichen Nachbarn nicht jene Brüche
hinnehmen mußte, die uns Deutsche vor dem Hintergrund unserer jüngsten
Geschichte nicht erspart bleiben konnten.
Wir haben, wenn wir in Deutschland über die Zukunft unseres geteilten
Landes nachdachten, die Perspektiven anders gesehen und bewertet. Wir
haben zu beiden Seiten der Grenze immer wieder gesagt: An den deutschen
Verhältnissen darf nicht gerüttelt werden! Sie müssen als Folge des Zweiten
Weltkrieges hingenommen werden. Es ist auch nicht vorstellbar, daß die
Sowjetunion, die in diesem Krieg Millionen von Menschen verloren hat, das
wieder aufgibt, was sie als die Frucht eines unter großen Opfern errungenen
Sieges betrachtet. Wir waren uns sicher, daß grundlegende Veränderungen nur
um den Preis der Gefährdung des Friedens in Europa möglich sein könnten.
Und ein solcher Preis, das sage ich zumindest für uns Ostdeutsche, schien uns
zu hoch!
Hier gab es einen weitreichenden Konsens. Und dieser Konsens galt auch