Nach anfänglicher öffentlicher Skepsis über eine mögliche politisch gelenkte Geschichtsschreibung trugen die beiden Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit ihrer sachlichen Herangehensweise dazu bei, den aktuellen Wissensstand über die staatlichen Strukturen und Organe, den Widerstand, zur Rolle der Kirche und den Alltag in der DDR zu veröffentlichen. Die Enquete-Kommissionen wollten damit kein Ersatz für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen sein, sondern einen gesellschaftlichen Beitrag leisten und Anstöße für die weitere Forschung und politische Bildungsarbeit geben.
In der sechsjährigen Arbeit der Enquete-Kommissionen zeigte sich ein weitgehend gemeinsames, parteiübergreifendes Interesse, die Aufarbeitung der SED-Diktatur und deren Folgen voranzutreiben. Dennoch gab es bei bestimmten Themenbereichen heftige Debatten und Kontroversen.
Dies wird auch in den Abschlussberichten deutlich, in denen die erarbeiteten Ergebnisse der Enquete-Kommissionen zusammengefasst und Handlungsempfehlungen für den Deutschen Bundestag formuliert wurden. In den Schlussberichten spiegelt sich nicht nur die Auffassung der Kommissionsmehrheit wider; in Sondervoten zeigen sich abweichende Meinungen der Parteien und Sachverständigen zu einzelnen Themengebieten.
Rainer Eppelmann berichtet über parteipolitische Differenzen, die es in der Enquete-Kommission gab, aber auch über den Willen zum Konsens, um die Aufarbeitung voranzubringen. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth erinnert sich an die verschiedenen Debatten im Deutschen Bundestag, in denen es um die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit ging. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2019.
Kontroversen in der Arbeit der Enquete-Kommissionen
In der ersten Enquete-Kommission 1992–1994 gab es beispielsweise bei den Themenfeldern zur Rolle und Bedeutung der SED, zu Recht, Justiz und Polizei im SED-Staat und zu Opposition und Widerstand eine weitgehende Übereinstimmung. Bei den übrigen Themenfeldern finden sich jedoch im Schlussbericht meist mehrere, kleinere Sondervoten wie beispielsweise zur Rolle und Funktion der Blockparteien oder zur Bedeutung der Ideologie und der Gesellschaftspolitik im SED-System. Die meisten Auseinandersetzungen zwischen den Enquete-Mitgliedern, die sich auch in größeren Sondervoten ausdrückten, waren jedoch im Themenbereich zur Deutschlandpolitik sowie zur Rolle und Selbstverständnis der Kirche zu finden.
Hartmut Koschyk erinnert sich an die Differenzen und unterschiedlichen Perspektiven, aber auch den Willen zum Konsens, den es innerhalb der Enquete-Kommissionen gab. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Dirk Hansen berichtet, wie der Wahlkampf im Herbst 1994 auch Einfluss auf die Arbeit in der Enquete-Kommission hatte. Quelle: Bundesstifung Aufarbeitung, 2018.
Sondervoten in den Themenbereichen „Deutschlandpolitik“ und „Kirche in der SED-Diktatur“
In den Debatten zur Deutschlandpolitik offenbarte sich der westdeutsche Parteienstreit zwischen CDU/CSU und SPD. Es wurden lange und heftige Diskussionen über die Regierungen Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt geführt. Dabei ging es hauptsächlich um die Frage, wem der Verdienst der Wiedervereinigung zukomme – hat die Westpolitik Konrad Adenauers die Wiedervereinigung begünstigt oder war die Entspannungspolitik Willy Brandts dafür verantwortlich?
Im Themenfeld zur Kirche legte die SPD ebenfalls ein Sondervotum vor. Auch wenn die SPD-Fraktion nicht alle Teile des Mehrheitsvotums ablehnte, war für sie im Schlussbericht die Handlungsperspektive der Kirchen zu wenig berücksichtigt. Zudem plädierte sie für eine stärkere Behandlung der Rolle der katholischen Kirche. Aus Sicht der CDU/CSU schien die SPD mit ihrem Sondervotum die Bedeutung des Ministeriums für Staatssicherheit in der evangelischen Kirche herunterspielen zu wollen; sie unterstellte der SPD-Fraktion damit indirekt, die Aufarbeitung der MfS-Vergangenheit des ehemaligen Pfarrers und damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten und SPD-Mitglieds Manfred Stolpe zu behindern.
Jürgen Schmieder spricht über die parteipolitischen Differenzen, die es in der Enquete-Kommission gab. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2019.
Bernd Faulenbach erinnert sich, wie er sich für eine Pluralität von Sichtweisen auf verschiedene Themen in den Kommissionen einsetzte. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Auch im Schlussbericht der Enquete-Kommission 1995–1998 gab es mehrere Sondervoten, dabei ging es meistens jedoch nur um punktuelle Unterschiede. Größere Sondervoten von der SPD finden sich beispielsweise in den Themenbereichen „Bildung, Wissenschaft und Kultur“ sowie „Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik“, da die SPD den Fokus bei diesen Themen, wie bereits in der Debatte um die Einsetzung deutlich wurde, mehr auf den Transformationsprozess lenken wollte.
Die Rolle der PDS
Einen Sonderfall in beiden Schlussberichten stellte die PDS dar. So brachte die PDS in der ersten Enquete-Kommission ein Sondervotum gegen den gesamten Schlussbericht ein und ließ im Schlussbericht der zweiten Enquete-Kommission 1995–1998 eine Reihe von einzelnen Sondervoten einfließen, die teilweise stark von der Kommissionsmehrheit abwichen.
Bereits 1992 gründete sich als Reaktion auf die Arbeit der Enquete-Kommission aus dem Umfeld der PDS eine „Alternative Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte“. Die Bundestagsgruppe PDS/Linke Liste brachte zudem insgesamt elf Bände heraus, die von 1993 bis 1998 in der Reihe „Ansichten zur Geschichte der DDR“ erschienen sind. In diesen Bänden kommentierte die PDS die Themenbereiche der Enquete-Kommissionen des Bundestages aus ihrer Perspektive; dies stieß wiederum auf Gegenkritik und erzeugte eine politische Diskussion. Die Nachfolgepartei der SED sah sich durch die Arbeit der Enquete-Kommission gezwungen, sich selbst zu positionieren und sich ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen.
PDS-Obmann Dietmar Keller bekennt sich in seiner Rede in der Bundestagsdebatte am 17. Juni 1994 zum antitotalitärer Konsens, auch wenn er den Schlussbericht der Kommission insgesamt kritisiert. Quelle: Deutscher Bundestag.
Der PDS-Abgeordnete Ludwig Elm erinnert sich an die Haltung der PDS zu bestimmten Themen in der Enquete-Kommission wie die Gründung der Bundesstiftung Aufarbeitung. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2019.
Der ehemalige PDS-Obmann Ludwig Elm erinnert sich an die Bestrebungen der Alternative Enquete-Kommission sowie an die Bände „Ansichten zur Geschichte“ der PDS-Bundestagsgruppe. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2019.
„Brandenburg aktuell“ berichtet über die Problematik im Umgang mit NVA-Offizieren im vereinigten Deutschland. Eine alternative Enquete-Kommission, die sich aus dem Umfeld der PDS gegründet hat, behandelt dieses Thema in einer Anhörung. Quelle: rbb.
Debatten zu den Enquete-Kommissionen im Deutschen Bundestag
Die erste und zweite Enquete-Kommission wählte jeweils symbolträchtig den Jahrestag des DDR-Volksaufstands vom 17. Juni 1953, um ihre Abschlussberichte dem Deutschen Bundestag vorzulegen. Dementsprechend beriet der Bundestag den Schlussbericht der Enquete-Kommission 1992–1994 am 17. Juni 1994 und den Schlussbericht der Enquete-Kommission 1995–1998 am 17. Juni 1998. Beide Schlussberichte wurden jeweils mit großer Mehrheit angenommen.
Die Enquete-Kommission 1992–1994 brachte neben dem Schlussbericht einen interfraktionellen Entschließungsantrag ein, der sich auf den Schlussbericht der Enquete-Kommission bezog. In diesem Entschließungsantrag wurden die wichtigsten Ergebnisse der Enquete-Kommission zusammengefasst und bewertet.
Im Entschließungsantrag wurde unmissverständlich festgehalten, dass der SED-Staat eine Diktatur war und zwar nicht durch „Fehlentwicklung oder individuellen Machtmißbrauch – der kam im einzelnen hinzu –“, wie es dort heißt, sondern aufgrund der historischen und ideologischen Grundlagen. Zudem wurde die Hauptverantwortung für das Unrecht in diesem System der SED zugeschrieben. Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutete für die Enquete-Kommission jedoch „keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen“. Ein weiterer wichtiger Punkt, der in der Entschließung festgehalten wurde, war der „antitotalitäre Konsens“ als eine politische Grundhaltung in der demokratischen Gesellschaft des wiedervereinigten Deutschlands, die sich gegen jede Form von Diktatur und antidemokratische Strukturen richtet.
FDP-Obmann Dirk Hansen geht in seiner Rede in der Bundestagsdebatte am 17. Juni 1994 u. a. auf den antitotalitären Konsens ein, der im Entschließungsantrag festgeschrieben wurde. Quelle: Deutscher Bundestag.
Obmann von Bündnis 90/Die Grünen Gerd Poppe spricht in seinem Beitrag in der Bundestagsdebatte vom 17. Juni 1994 auch das Sondervotum der PDS an. Quelle: Deutscher Bundestag.
Das Mitglied der Enquete-Kommission Maria Michalk (CDU) spricht in ihrer Rede in der Bundestagsdebatte am 17. Juni 1994 auch von ihren eigenen Erfahrungen als ehemalige DDR-Bürgerin. Quelle: Deutscher Bundestag.
Das SPD-Mitglied der Kommission Stephan Hilsberg spricht in seiner Rede in der Bundestagsdebatte am 17. Juni 1994 u. a. über die öffentliche Anhörung in Jena zum Thema „Opposition und Widestand“. Quelle: Deutscher Bundestag.
Gedenkstättenkonzept
Während sich in der ersten Enquete-Kommission mehr mit der Klärung historischer Tatbestände beschäftigt worden war, war der Schlussbericht der Enquete-Kommission 1995–1998 insgesamt gegenwartsnäher und enthielt mehr konkrete Handlungsempfehlungen als der Bericht der Vorgängerkommission. So finden sich im Schlussbericht Handlungsempfehlungen zu verschiedenen Problemfeldern wie der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen in der DDR oder zur Entschädigung der Opfer der SED-Diktatur. Zudem unterbreitete die Enquete-Kommission im Abschlussbericht Vorschläge für eine umfassende Gedenkstättenkonzeption des Bundes.
Markus Meckel beschreibt, wie er die thematischen und atmosphärischen Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Enquete-Kommission empfunden hat. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Gerd Poppe erinnert sich, wie in der Enquete-Kommission mit der Frage der Opfer der SED-Diktatur und deren Rehabilitierung umgegangen wurde. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Nachdem bereits die Enquete-Kommission 1992–1994 in ihrem Schlussbericht empfohlen hatte, Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung durch den Bund zu fördern, wurde die Nachfolgekommission vom Bundestag beauftragt, Vorschläge für eine tragfähige und umfassende Gedenkstättenkonzeption zu erarbeiten. Damit war die Enquete-Kommission das erste Gremium des Deutschen Bundestages, das sich umfassend mit den Gedenkstätten für die Opfer beider Diktaturen beschäftigte. Durch das Gedenkstättenkonzept sollten gesamtdeutsche Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und deren Opfer gefördert werden und Orte von nationaler Bedeutung festgelegt werden, die dauerhaft vom Bund finanziert werden sollten. Die schließlich 1999 erarbeitete Gedenkstättenkonzeption des Bundes knüpfte in großen Teilen an die Empfehlungen der Enquete-Kommission an. Die Kommission verhalf dadurch Gedenkstätten sowohl für die Opfer von Krieg und NS-Gewaltherrschaft als auch für die Opfer der kommunistischen Diktatur in der SBZ und der DDR zur gesellschaftlichen Akzeptanz und einer dauerhaften institutionellen Förderung durch den Bund.
Hartmut Koschyk berichtet, wie es zur Erarbeitung eines gesamtdeutschen Gedenkstättenkonzept in der Enquete-Kommission kam und wie über den Umgang mit Stätten beider deutschen Diktaturen diskutiert wurde. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Markus Meckel erinnert sich an die Erarbeitung des Gedenkstättenkonzepts in der zweiten Enquete-Kommission und dessen Umsetzung. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Neben dem Gedenkstättenkonzept war die Gründung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eines der zentralen Ergebnisse der Enquete-Kommission. Die zweite Kommission legte dem Bundestag bereits am 13. November 1997 einen Zwischenbericht vor. In diesem Zwischenbericht empfahl sie, eine Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu gründen, um die Aufarbeitung dieser Vergangenheit auch weiterhin zu gewährleisten. Die Bundesstiftung sollte den Opfern der SED-Herrschaft Beratung und Hilfe ermöglichen, die Aufarbeitungsinitiativen und Opferverbände unterstützen sowie die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung fördern. Ein weiterer Schwerpunkt sollte in der Sicherung von Dokumenten und Materialien von Widerstand und Opposition liegen.
Diese Empfehlung nahm der Deutsche Bundestag in einem fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf auf, der am 2. April 1998 mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Stimmenthaltung der PDS und einer Gegenstimme der PDS angenommen wurde. Das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur trat am 13. Juni 1998 in Kraft und am 2. November 1998 nahm die Bundesstiftung Aufarbeitung ihre Arbeit auf. Mit Einsetzung der Stiftung bekannte sich der Deutsche Bundestag dazu, welche Bedeutung er auch zukünftig der Aufarbeitung der SED-Diktatur beimessen wollte.
Seit der Gründung vor 20 Jahren konnte die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Rahmen der Projektförderung bis 2018 rund 3.300 Vorhaben zur Auseinandersetzung mit den kommunistischen Diktaturen im gesamten Bundesgebiet und international mit fast 48 Millionen Euro unterstützen. Hinzu kommen Hunderte eigene Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen.