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Wahlperiode 12, Band VIII, Seiten 646 und 647
 

Protokoll der 45. Sitzung

 

der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-
Diktatur in Deutschland“ am Montag, dem 27. September 1993, 10.00 Uhr in
Berlin, Reichstagsgebäude (SPD-Fraktionssaal); Vorsitz: Abg. Rainer Eppel-
mann (CDU/CSU); einziger Punkt der Tagesordnung: Öffentliche Anhörung
zu dem Thema

 

„Seilschaften in den neuen Bundesländern“

 

Inhalt

 

Eröffnung
Vorsitzender Rainer Eppelmann
647
Vorträge
Joachim Erbe
„Seilschaften aus der Sicht der Staatsanwaltschaft“
649
Albrecht Krieger
„Erfahrungen mit Seilschaften und der politischen Vergangenheit von
Führungskräften in Treuhandunternehmen“
655
Karl Maibaum
„Erfahrungen mit Beschwerden aus der Bevölkerung über Mitarbeiter
von Arbeitsämtern in den neuen Bundesländern“
662
Manfred Wagener
„Folgerungen aus der hauptamtlichen bzw. inoffiziellen Arbeit von
Angehörigen der Arbeitsämter in den neuen Bundesländern für das
ehemalige Ministerium für Staatssicherheit“
667
Manfred Kittlaus/Uwe Schmidt
„Erfahrungen mit dem Wirken von Seilschaften in den neuen Bundes-
ländern in Verbindung mit Erscheinungen der Regierungs- und Vereini-
gungskriminalität“
670
Lothar Pickenhain
„Erfahrungen mit dem Wirken von Seilschaften in Sportorganisationen
und -institutionen in der ehemaligen DDR und den neuen Bundeslän-
dern“
681
Diskussion687
Zeitzeugen
Dietrich Pfeiffer
726
647
Seilschaften in den neuen Bundesländern
Edelgard Jeske732
Sybille Tonndorf-Ehrke737
Dr. Marianne Fiedler740
Eva-Maria Storbeck745
Diskussion750

 

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Enquete-Kommission „Aufarbeitung
von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ veranstaltet
im Rahmen ihrer 45. Sitzung heute eine öffentliche Anhörung zum Thema
„Seilschaften in den neuen Bundesländern“. Das Problem der Seilschaften
war und ist von großem gesellschaftlichem Interesse und schien der Enquete-
Kommission so wichtigdaß sie dafür eine eigene Arbeitsgruppe einsetzte.
Dieser Arbeitsgruppe verdanken wir auch die Initiative für die heutige
Veranstaltung.

Viele Menschen in den neuen Bundesländern empfinden heute Angst und Zorn,
wenn sie das Wort „Seilschaften“ hören. Sie fühlen sich enttäuschtausgeliefert
und ohnmächtig. Und auch die Menschendie nicht in der DDR gelebt
habenfragen zunehmend besorgter: Was geht da eigentlich bei euch vor?
Die DDR-Machthaber haben über viele Jahre den westlichen Imperialisten
eine Politik des „Roll back“des Zurückdrehens des Rades der Geschichte
vorgeworfen. Erleben wir heute unter ganz anderen Vorzeichen dieses „Roll
back“organisiert und gesteuert von denendie in der SED-Diktatur das Sagen
hatten?

Wo Angst und Zorn um sich greifenmuß öffentlich über das geredet werden,
was Angst und Zorn verursacht. Deshalb haben wir heute diese Anhörung,
bei der hervorragende Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Justiz,
VerwaltungWissenschaft und Betroffene das Wort ergreifen. Ich danke allen
denendie sich bereitgefunden habender Enquete-Kommission bei ihrem
Versuch zu helfendie öffentliche Diskussion zu versachlichen.

Der Begriff „Seilschaft“ hat einen bemerkenswerten Bedeutungswandel er-
fahren. Noch vor wenigen Jahren hätten Menschengefragt nach demwas
sie mit dem Begriff „Seilschaft“ verbindenwohl fast ausschließlich von einer
Mannschaft gesprochendie sich an einem schwierigen Berg durch ein stabiles
Seil miteinander verbunden hatum ihre Klettertour in schwerem Gelände
heil und lebendig zu überstehen. Da muß man sich aufeinander verlassen
können und einer dem anderen helfendenn das Schicksal jedes einzelnen
ist in einer solchen Gemeinschaft das Schicksal aller. Heute dagegen denken
die allermeisten Menschen in Deutschlandwenn sie den Begriff „Seilschaft“
hörenzuerst an eine verschwörerische Gemeinschaft ehemaliger Stützen der
SED-Diktaturdie sich miteinander verbunden habenum ihre Privilegien zu