Fünf Anträge – eine Enquete-Kommission
Nachdem der SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bürgerrechtler Markus Meckel bereits im November 1991 in einer Pressemitteilung vorgeschlagen hatten, eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur einzusetzen, dauerte es noch bis zum 12. März 1992, bis der Bundestag den Einsetzungsbeschluss der ersten Enquete-Kommission in seiner 82. Sitzung verabschiedete.
Dem Einsetzungsbeschluss waren insgesamt fünf Anträge der Fraktionen und Gruppen vorausgegangen. Neben einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP gab es vier weitere, gesonderte Anträge von den Fraktionen bzw. Gruppen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS sowie den Koalitionspartnern von CDU/CSU und FDP, um ihre eigenen Vorstellung einer solchen Enquete-Kommission darzulegen.
Gerd Poppe berichtet, wie sich die Einsetzung der Enquete-Kommission im März 1992 vollzog, und welche Themen die Kommission behandeln wollte. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
„Nie wieder Diktatur!“
Auf Basis dieser Anträge debattierten am 12. März 1992 die Abgeordneten im Bundestag über die Notwendigkeit der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Der frühere Bürgerrechtler Rainer Eppelmann, der bereits im Vorfeld durch Wolfgang Schäuble von der Regierungskoalition als Vorsitzender der Enquete-Kommission vorgeschlagen wurde, eröffnete die Debatte. Er unterstrich in seiner Rede die gesamtdeutsche Funktion der Enquete-Kommission und stellte die Arbeit der Kommission unter den Leitspruch „Nie wieder Diktatur!“.
Der designierte Vorsitzende Rainer Eppelmann eröffnet die Bundestagsdebatte um die Einsetzung der Enquete-Kommission am 12. März 1992. Quelle: Deutscher Bundestag.
Auch der spätere SPD-Obmann in der Enquete-Kommission Markus Meckel meldete sich in der Debatte um die Einsetzung am 12. März 1992 zu Wort. Quelle: Deutscher Bundestag.
Neben Rainer Eppelmann kamen auch andere Bundestagsabgeordnete und frühere Bürgerrechtler wie Markus Meckel und Gerd Poppe zu Wort. Zudem gab es u. a. Redebeiträge von Wolfgang Schäuble, FDP-Politiker Wolfgang Mischnick und dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Willy Brandt hielt in dieser Debatte seine letzte öffentliche Rede vor dem Bundestag. Er mahnte, dass kein „Mantel des Verschweigens über gravierendes Unrecht“ ausgebreitet werden dürfe.
Willy Brandt hält einer seiner letzten öffentlichen Reden in der Bundestagsdebatte über die Einsetzung der Enquete-Kommission am 12. März 1992. Quelle: Deutscher Bundestag.
Jürgen Schmieder, später stellvertretendes Mitglied für die FDP in der Enquete-Kommission, äußert sich in der Bundestagsdebatte am 12. März 1992. Quelle: Deutscher Bundestag.
In der insgesamt fünf Stunden andauernden Einsetzungsdebatte zeigten sich zwar parteipolitische Differenzen. Alle Parteien, mit Ausnahme der PDS, waren sich jedoch einig, dass die DDR ein Unrechtssystem war und diese Vergangenheit aufgearbeitet werden müsse. Die Bundestagsabgeordneten nahmen den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP bei zwei Stimmenthaltungen an und setzten damit die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ am 12. März 1992 ein.
Nach dem Einsetzungsbeschluss vom 12. März 1992 setzte die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth am 19. März 1992 die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ in ihrer konstituierenden Sitzung ein. In diesem Zuge hielt die Bundestagspräsidentin eine Rede, die sich an die Mitglieder der Enquete-Kommission richtete.
Beschlussempfehlung vom 20. Mai 1992
Anders als sonst bei der Einsetzung von Enquete-Kommissionen üblich enthielt der Einsetzungsbeschluss der ersten Enquete-Kommission noch keine nähere Auftragsbestimmung, sondern gab dem zu bildenden Gremium die Aufgabe, eine Beschlussempfehlung mit dem genauen Auftrag festzulegen. Die Enquete-Mitglieder erarbeiteten daher in den ersten fünf nicht-öffentlichen Sitzungen der Enquete-Kommission die Beschlussempfehlung, die am 12. Mai 1992 in der sechsten Sitzung der Enquete-Kommission einstimmig verabschiedet wurde. Am 20. Mai 1992 legte die Enquete-Kommission, wie im Einsetzungsbeschluss festgelegt, diese Beschlussempfehlung dem Bundestag vor, der diese ohne Änderung mit großer Mehrheit annahm.
Im Zuge der Beschlussempfehlung empfahlen die Enquete-Mitglieder, den Zusatz „in Deutschland“ in den Titel der Enquete-Kommission aufzunehmen, die sich bis dahin „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ nannte, um den gesamtdeutschen Charakter des Vorhabens zu unterstreichen.
FDP-Obmann Dirk Hansen äußert sich in der Debatte um die Beschlussempfehlung am 20. Mai 1992 auch über die Erweiterung des Titels der Kommission. Quelle: Deutscher Bundestag.
Jürgen Schmieder berichtet, wie es dazu kam, dass er Mitglied in der Enquete-Kommission wurde und welche Vorüberlegungen es vor ihrer Einsetzung gab. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2019.
Dirk Hansen erinnert sich, inwiefern die FDP-Fraktion den gesamtdeutschen Charakter der Kommission verdeutlichen wollte und den Vorschlag für den Titelzusatz „in Deutschland“ einbrachte. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Protokoll der 6. Sitzung der Enquete-Kommission am 12. Mai 1992. Quelle: PA-DBT 3416 EK 12/SED Prot. 1 (pdf).
In ihrer sechsten Sitzung diskutierte die Enquete-Kommission am 12. Mai 1992 abschließend über die Beschlussempfehlung und verabschiedete diese einstimmig. Die letzten Änderungen an der Beschlussempfehlung können im Protokoll nachvollzogen werden.
Obmann von Bündnis 90/Die Grünen Gerd Poppe beteiligt sich in der Bundestagsdebatte um die Beschlussempfehlung am 20. Mai 1992. Quelle: Deutscher Bundestag.
Nachfolgekommission im Juni 1995
Bereits im Abschlussbericht der ersten Enquete-Kommission verdeutlichten die Enquete-Mitglieder, dass die Arbeit aufgrund der Fülle weiterer offener Fragen noch nicht abgeschlossen sei. Am 22. Juni 1995 beschloss daher der Bundestag in seiner 13. Wahlperiode die Einsetzung einer zweiten Enquete-Kommission mit dem Titel „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“. Die Kommission sollte die von der Vorgängerin nicht behandelten Themenbereiche der DDR-Geschichte aufarbeiten und den Fokus mehr auf die Folgen der jahrzehntelangen SED-Herrschaft, den Transformationsprozess und die deutsche Einheit legen.
Differenzen über die Zielsetzung
Der Einsetzungsbeschluss der zweiten Enquete-Kommission basierte auf einem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. In interfraktionellen Vorgesprächen 1995 sprach sich die SPD-Fraktion ebenfalls für eine Fortsetzung der Arbeit durch eine Nachfolgekommission aus, über den genauen Auftrag der zweiten Enquete-Kommission fand sich jedoch keine fraktionsübergreifende Übereinstimmung. Die SPD legte daher einen eigenen Antrag vor, den sie aber kurz vor der Abstimmung zurückzog, um die Einsetzung zweier parallel arbeitender Enquete-Kommissionen zu verhindern.
Die Meinungsverschiedenheiten lagen in der thematischen Ausrichtung und damit dem Auftrag der Enquete-Kommission. Während FDP, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen ihren Schwerpunkt mehr auf die „Folgen und Nachwirkungen der SED-Diktatur und die daraus erwachsenden Probleme für den Prozess der inneren Einigung“ legen wollten, fasste die SPD-Fraktion ihren Antrag weiter, indem neben den Folgen der SED-Diktatur auch die Entscheidungen der Transformationsphase in den neuen Bundesländern seit 1990 behandelt werden sollten. Die Zielsetzungen waren insgesamt jedoch ähnlich und einige Textstellen der Anträge sogar identisch. Abgesehen von zwei Stimmen enthielt sich die gesamte SPD-Fraktion bei der Abstimmung um die Einsetzung der zweiten Enquete-Kommission.
Markus Meckel erinnert sich an die Einsetzung der Enquete-Kommission 1995-1998 und an die Unstimmigkeiten in der SPD-Fraktion hinsichtlich des SPD-Antrags. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Ilko-Sascha Kowalczuk spricht über seine eigene Motivation, sich an der Enquete-Kommission zu beteiligen. Er geht dabei auch auf die Einsetzung der zweiten Enquete-Kommission und deren Auftrag ein. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Stephan Hilsberg berichtet, wie die einzelnen Fraktionen den Prozess der deutschen Einheit in der Arbeit der Enquete-Kommission bewertet haben. Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018.
Am 30. Juni 1995 konstituierte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth die Nachfolgekommission. Auch die Bundestagspräsidentin weist in ihren einleitenden Worten auf den veränderten, stärker gegenwartsbezogenen Auftrag dieser Kommission hin. Zudem ernennt sie Rainer Eppelmann erneut als Vorsitzenden und Siegfried Vergin als seinen Stellvertreter.
Anträge aller Fraktionen zur Einsetzung der Enquete-Kommission 1992-1994
Einsetzungsdebatte des Deutschen Bundestages am 12.3.1992
Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission 1992-1994
Beschlussempfehlung vom 20.05.1992
Anträge aller Fraktionen zur Einsetzung der Enquete-Kommission 1995-1998
Einsetzungsdebatte des Deutschen Bundestages am 22.6.1995
Einsetzungsbeschluss der Enquete-Kommission 1995-1998